Sonderausstellung "Leben am Toten Meer" Textil „gepökelt“. Funde vom Toten Meer

Mikroorganismen sind meist schneller als Archäologen. Gerade an organischen Materialien tun sich die Kleinstlebewesen gütlich. Kein Wunder also, wenn Restauratoren bei der Untersuchung von über 8000 Jahre alten Textilien schon mal ins Schwärmen geraten. Wenn anhand des überlieferten Materials auch noch zu erkennen ist, wozu der Stoff einmal gehört hat und die Farbigkeit erhalten ist, wissen die Fachleute: Dieser Fund ist weltweit einzigartig.

Über die Textilfunde, die ab dem 8. Mai in der Sonderausstellung „Leben am Toten Meer“ in Paderborn zu sehen sind, sprechen im Interview die LWL-Restauratoren Susanne Bretzel-Scheel und Andreas Weisgerber. Sie verraten dabei, was der Erhaltungszustand mit Pökeln gemein hat, warum Funde aus Höhlen besonders lichtempfindlich sind und wie die Textilien restauriert wurden.


Die Restauratorin Susanne Bretzel -Scheel und der Restaurator Andreas Weisgerber in der Werkstatt der LWL-Archäologie für Westfalen in der Münsteraner Speicherstadt.
Foto: LWL/ C. Steimer

Was macht die Textilfunde vom Toten Meer so besonders?


Weisgerber: Da Textilien organisch sind, sind sie das Erste, was im Boden abgebaut wird. Deshalb sind Textilfunde in einer archäologischen Ausstellung immer etwas Besonderes. Es gibt einfach nicht so viele. Die Mikroorganismen sind meist schneller als die Archäologen.

Bretzel-Scheel: Sie sind aber nicht nur spektakulär aufgrund ihres hohen Alters, sondern auch wegen ihrer Größe. Nehmen Sie allein die römische Tunika, die in der Ausstellung zu sehen ist. Sie misst 148 mal 118 Zentimeter – und das, obwohl sie fast 2.000 Jahre verborgen in einer Höhle lag. Oder sagen wir lieber: Zum Glück! Ein solcher Fund ist weltweit in diesem Erhaltungszustand einzigartig.

Weisgerber: Für uns als Restauratoren ist es schon etwas Besonderes, dass man allein anhand des überlieferten Materials erkennen kann, wozu der Stoff einmal gehört hat. Das ist bei den Stücken vom Toten Meer der Fall, und man erkennt sogar die Farbe: Die Tunika war beige mit roten Bändern.



Aufgrund der einzigartigen klimatischen Bedingungen am Toten Meer haben sich auch die Farben der Textilien – hier ein römisches Tuch aus Wolle – hervorragend erhalten.
Foto: Israel Antiquities Authority, Jerusalem/ Clara Amit

Warum haben sich die Textilien am Toten Meer so gut erhalten?


Weisgerber
: In erster Linie ist es wegen des trockenen Klimas. Hinzu kommt, dass die Böden am Toten Meer sehr salzhaltig sind, und Salze sind natürlich ein wunderbares Konservierungsmittel. Denken Sie an das Salz zum Pökeln. Es zerstört die Mikroorganismen. Damit bleibt jedes organische Material, egal ob pflanzlich oder tierisch, gut erhalten. Auch deshalb stammen einige der ältesten organischen Funde weltweit vom Toten Meer. Sie sind mehr als 10.000 Jahre alt.

Bretzel-Scheel: Sicherlich haben auch die eher unwirtlichen Lebensbedingungen dazu beigetragen, dass sich die Textilien so gut erhalten haben. Schließlich war das Gebiet bis auf wenige Phasen, in denen die Höhlen als Lebensraum, Grabstätte und Zufluchtsort gedient haben, nicht stark besiedelt.

Die Tunika war während der römischen und byzantinischen Zeit das meistgetragene Kleidungsstück. Anhand der Bänder, die über Brust und Rücken verlaufen, kann man sogar den sozialen Rang des Trägers ablesen.
Foto: Israel Antiquities Authority, Jerusalem/ Clara Amit

Aus welchem Material bestehen die Textilfunde?

Bretzel-Scheel: Bis die Römer kamen, wurde in der Region hauptsächlich pflanzliches Material verwendet, nämlich ausschließlich Leinen. Danach kam auch Wolle, die dafür bekannt ist, dass sie Farbstoffe gut aufnehmen kann. Eine Ausnahme war Qumran – der Ort, an dem die bekannten Schriftrollen vom Toten Meer gefunden wurden. Dort in einer Höhle hat eine jüdische Glaubensgemeinschaft gelebt, die nur Leinen getragen hat. Mischgewebe waren in Israel selten – wegen des jüdischen Reinheitsgebots, das auch für Textilien galt.

Wie lässt sich von den Textilien auf das Leben der Menschen schließen?

Weisgerber: Textilien verkörpern eines der frühesten Handwerke überhaupt. Sie wissen ganz viel zu erzählen über vergangene Kulturen, soziale Strukturen und zeitliche Abläufe. Welche Technik gab es ab wann? Wie haben sich die Menschen gekleidet?

Bretzel-Scheel: Je nach Kulturkreis gibt es gar keine Darstellung von der Kleidung oder nur die der elitären Kreise. Wir kennen also meist nur einen kleinen Ausschnitt. Archäologische Funde füllen diese Lücke. Sie liefern konkrete Belege für das Alltagsleben und geben Aufschluss über die Kleidung der einfachen Menschen.





Das filigrane Muster dieses römischen Stofffragments aus Wolle zeigt, wie gut die Menschen das Handwerk bereits vor rund 2.000 Jahren beherrschten.
Foto: Israel Antiquities Authority, Jerusalem/ Clara Amit

Wie kommen die Textilien zu den Restauratoren und wie werden sie restauriert?

Weisgerber: Wenn Organik oder Textilien gefunden werden, sollten die Funde genauso zu uns kommen, wie sie aufgefunden wurden – egal ob feucht oder trocken. Bei schwierigen Fundumständen sind Textilrestauratoren häufig schon direkt vor Ort und holen den Fund als Block aus dem Boden. Dann können wir ihn in der Werkstatt vorsichtig freilegen und weiter bearbeiten. Die Grabung wird also praktisch in die Werkstatt verlegt. Dort hat man ein Mikroskop, Licht und die notwendige Zeit, sich ganz auf das Objekt zu konzentrieren.

Bretzel-Scheel: Wenn das Objekt schließlich freigelegt und dokumentiert ist, versuchen wir – sofern die Fasern das zulassen – es vorsichtig zu reinigen, entweder trocken, mit Wasser oder einem Ethanol-Wasser-Gemisch. Wir schauen, welches Material vorliegt. Je nach Faserbestimmung entscheiden wir dann ganz individuell, wie wir vorgehen.

Weisgerber: Im Anschluss wird das Textil in einer guten Umgebungstemperatur mit einer gleichbleibend hohen Luftfeuchtigkeit zwischen 45 und 55 Prozent aufbewahrt. Denn wenn es zu trocken ist, kann eine Faser dauerhaft zerstört werden. Auch zu große Temperaturschwankungen sind für organische Fundstücke nicht gut.

Bretzel-Scheel: Ganz wichtig ist außerdem, dass das Textil nur mit geeigneten Materialien in Berührung kommt – also zum Beispiel mit Verpackungsmaterial, das speziell für den musealen oder konservatorischen Bereich getestet wurde. Dazu gehören säurefreies Seidenpapier oder Kunststoffe wie Polyethylen-Vliese. Ist das nicht der Fall, können langfristig große Schäden am Textil entstehen.

Weisgerber: Deshalb haben die Kuriere, die die Stücke von den Leihgebern zu uns ins Museum bringen, die Temperatur und Lichtbedingungen in unserer Ausstellung sehr genau im Blick. Stimmen die Werte nicht, nehmen sie die Leihobjekte einfach wieder mit.

Das Stofffragment aus der Jungsteinzeit ist das älteste Textil der Ausstellung und rund 8.000 Jahre alt.
Foto: Israel Antiquities Authority, Jerusalem/ Clara Amit

Sind die Textilfunde vom Toten Meer so lichtempfindlich, weil sie hauptsächlich in Höhlen gefunden wurden?

Bretzel-Scheel: Ja, genau. Das sieht man auch in der Ausstellung, wo die Textilien nur mit einer sehr geringen Beleuchtungsstärke in Berührung kommen dürfen. Nicht nur die Fasern bauen sich ansonsten schnell ab, sondern vor allem die Pigmente. Außerdem liegen in Höhlen keine meterdicken Besiedelungsspuren über den Funden, wie das ansonsten bei archäologischen Spuren der Fall ist.

Sie haben die Ausstellung bereits gesehen. Was macht sie so besonders?

Weisgerber: Aus meiner ganz persönlichen Sicht sind es tatsächlich die Textilien. Da muss man zwar zweimal hingucken, weil es einen nicht so erschlägt wie zum Beispiel eine große Skulptur oder eine reich verzierte Totenmaske, aber wenn man sich darauf einlässt, tut sich ein riesengroßes Feld auf.

Bretzel-Scheel: Natürlich sind auch die anderen Exponate interessant, wie zum Beispiel das 3.500 Jahre alte türkisblaue Kosmetik-Fläschchen. Schließlich bietet die Ausstellung die seltene Gelegenheit, tausende Jahre alte Originalobjekte aus Israel zu sehen. Wann hat man hier in Europa schon mal die Gelegenheit dazu?

Fragen: LWL Pressestelle, Frank Tafertshofer und Dr. Carolin Steimer

Quelle: https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?50296

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