Verena Herwig ist der Enthusiasmus über die neue Errungenschaft an ihrem Museum deutlich anzumerken. „Es macht Freude damit zu arbeiten und die Ergebnisse sind einfach phänomenal“, erzählt die Gemälde-Restauratorin, die seit 2005 am Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig arbeitet. Kein Wunder, dass die Begeisterung groß ist, denn die jüngst eingebaute 3D-Röntgenanlage mit der Bezeichnung „ART X-RAY Typ Braunschweig“ ist extrem leistungsstark und eine Maßanfertigung für das Museum.
„Schon seit 1973 werden hier am Haus Kunstwerke geröntgt und diese Tradition ist von meiner Kollegin Hildegard Kaul weitergeführt worden. Als das Museum dann saniert und durch einen Neubau erweitert wurde, sollte es auch eine neue Röntgenanlage geben. Gewünscht war eine Ausweitung der Kapazität, damit wir nicht nur Gemälde, sondern auch dreidimensionale Objekte untersuchen können.“ Die Chance ergab sich 2020, als durch einen großzügigen privaten Nachlass sowie Spenden aus dem Freundeskreis des Museums die finanziellen Mittel von 270.000 Euro für eine neue Anlage zur Verfügung standen.
Das Unternehmen NTB X-RAY aus Diepholz, die auf Anlagen für medizinische, industrielle und restauratorische Anwendungen spezialisiert sind, erhielt den Auftrag für den Bau der maßgefertigten Röntgenanlage für Braunschweig. „Unsere Anlage besteht aus einer Röhre mit eigener Wasserkühlung und zwei hochauflösenden Zeilenkameras. Röhre und Kameras laufen synchron und berührungsfrei am Objekt entlang und liefern über eine eigene Software ein stereoskopisches, digitales Bild. Das können wir dann am Monitor mit einer Polarisationsbrille für den 3D-Effekt anschauen. Mit der analogen Methode war es nur möglich, jeweils begrenzte Ausschnitte eines Objektes zu röntgen und diese Bilder mussten später zusammengesetzt werden. Durch das digitale Scanverfahren und das anschließende Stitching der einzelnen Aufnahmen gibt es jetzt keine Nähte und Überlappungen mehr.“
Die Anlage ist so groß dimensioniert, dass Objekte mit bis zu 2,70 Meter Höhe und 2,10 Meter Breite gescannt werden können. Die Röhrenspannung, die die Intensität der Röntgenleistung misst, ist mit 20-160 Kilovolt (kV) extrem stark. „Die Röhre ist ein richtiger Kaventsmann, damit kommen wir durch sehr dichtes Material wie beispielsweise Metall durch. Für unsere Arbeit bedeutet das einen Quantensprung.“
Um die Anlage in Betrieb zu nehmen, waren jedoch noch etliche Auflagen, Prüfungen und Genehmigungen zu erfüllen und einzuholen. „Wir mussten zum Beispiel die Bleitüre nach außen nachrüsten und temporär einen externen Strahlenschutzbeauftragten bestellen. Ich habe dann an der Leibniz Universität Hannover die Ausbildung für die Fachkunde im Strahlenschutz R 1.1 gemacht und noch ein halbes Jahr Praxiserfahrung angeschlossen. Jetzt darf ich als Strahlenschutzbeauftragte des Museums die Anlage bedienen und muss in einem Turnus von fünf Jahren meine Kenntnisse immer wieder auffrischen.“
In erster Linie, erzählt Verena Herwig, sei die 3D-Röntgenanlage für den eigenen Sammlungsbestand gedacht. „Bei Bedarf können auch die Sammlungen der beiden anderen Museen des Betriebes, dem Braunschweigischen Landesmuseum und dem Naturhistorischen Museum, berücksichtigt werden. Wir haben auch bereits archäologische Grabungsfunde geröntgt.“ Mittlerweile gebe es sogar einige Anfragen von anderen Häusern. Ein solches Interesse muss die Restauratorin jedoch vorerst bremsen. „Langfristig wollen wir das Röntgen zwar auch als Dienstleistung anbieten, vor allem wenn es um wissenschaftliche Fragestellungen geht. Aber momentan wird davon noch abgesehen, denn die Anlage ist derzeit für eine begrenzte Betriebsstundenzahl von 200 Stunden pro Jahr genehmigt worden. Davon dürfen wir 40 Stunden mit höherer Spannung röntgen, den Rest mit niedriger Spannung. Das muss sich alles noch einspielen.“ Jetzt wollen Verena Herwig und ihre Kollegin erst einmal Erfahrungen mit dem Betrieb der Anlage sammeln. „Es gibt zwar noch vereinzelt ähnliche Anlagen im Hinblick auf 2D-Aufnahmen, auch für Museen, aber laut Hersteller ist unsere 3D-Anlage auf jeden Fall einzigartig in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit.“
Text: Gudrun von Schoenebeck im Gespräch mit Verena Herwig (Juli 2022)
Das ist ja beeindruckend! Diese Größe einer solchen Anlage sieht man selten. Top Beitrag, danke 🙂