Beobachtungen zur antiken Bilderwelt Pompejianische Wände

Unsere Rubrik „Bilder von unterwegs“ führt uns dieses Mal in die Ruinenstadt Pompeji. Dort hat der Restaurator Reinhard Meyer-Graft über zwanzig Jahre an Wandmalereien geforscht und einige interessante Entdeckungen zu längst verlorenen antiken Leinwand- und Tafelmalereien gemacht.

Abb. 1: Darstellung eines Gemäldes mit Rahmen aus vier Holzleisten, die sich an den Ecken überlappen. Pompeji, Villa Imperiale, Sala A. Foto: Deutsches Archäologisches Institut (DAI).

Wir Restauratoren wissen eine ganze Menge über die Objekte, die wir bearbeiten. Über ihre Geschichte und Kunstgeschichte, Maltechnik, Bildträger und vieles mehr. Doch unser Wissen wird spärlicher, je weiter wir zurück gehen. Älteste christliche Ikonenmalereien führen bestenfalls in die Spätantike. Erhalten sind antike Wandmalereien und in winzigen Resten die Fassungen antiker Marmorfiguren. Wir kennen Mumienportraits auf Holz in Enkaustiktechnik, die weniger bekannten Pitsa-Pinakes (Votivtafeln als Temperamalereien auf Holz aus dem 6. Jh. vor Chr. ) und einige Leinwandreste.

Der römische Gelehrte Plinius d. Ä. beschreibt in seinem Werk Naturalis historica (1) eine ganze Reihe antiker Maler und deren Qualitäten. Er nennt namentlich die bekanntesten Künstler und deren Werke. Er spricht über Gemälde allgemein, aber auch im Einzelnen über Leinwandgemälde, Malweisen, Pigmente und sogar über den Transport von Bildern! Das geht in Cap. XXXIX weiter mit Enkaustik und endet mit dem Cap. XLIII. Zitat: ”Über Malerei ist nun genug und übergenug gesagt worden.”

Aber über das Aussehen antiker Leinwandgemälde, deren Aufspannung sowie über Holztafelgemälde und deren Zierrahmen konnten wir bisher nur spekulieren.

Während meiner Arbeit im antiken Pompeji (2) habe ich zu diesem Thema einige Beobachtungen gemacht, die etwas Licht in dieses historische Dunkel bringen können.

Abb. 2: Darstellung eines Gemäldes mit Rahmen aus vier Holzleisten, die sich an den Ecken überlappen. Villa Imperiale, Sala A. Foto: DAI.

In der Villa Imperiale (3), einem ausgegrabenen antiken Gebäude in Pompeji, sind in der dortigen Sala A, ein zum Garten offener Oecus, einige bisher kaum beachtete antike Malerein auf transportablen Bildträgern zu entdecken. Dort gibt es Darstellungen von antiken, römischen oder griechischen Leinwand- und Tafelgemälden!

Die zum Teil schwarz-weißen Abbildungen zeigen deutlich in den Oberzonen der mit Fresken dekorierten Wände Nord, Ost und Süd des Oecus Darstellungen von sechs Gemälden. Sie stehen teils auf kleinen Podesten. Folglich gab es in der Antike Malereien auf Leinwand und
Holz, die man auch von einem Ort zum anderen transportieren konnte, oder wie hier, als Schmuck auf kleine Konsolen stellen konnte. Ganz so, wie Plinius d. Ä. es beschrieben hat.

Die Wandmalereien al fresco im Oecus A stammen aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vor Christus, der Zeit des frühen sogenannten dritten Stils (4). Die Darstellungen der frei stehenden Gemälde in den Oberzonen sind hier Zitate antiker Kunstwerke, zum Teil mythologischen Inhalts (4) und vielleicht sogar bekannt aus antiker Literatur wie aus den oben erwähnten Werken des Plinius Secentist d. Ä.

Abb. 3: Darstellung eines Gemäldes mit Rahmen aus vier Holzleisten, die sich an den Ecken überlappen. Villa Imperiale, Sala A. Foto: DAI.

Auf den Abb. 1 – 3 sieht man Gemälde mit rechteckigen Rahmen aus vier Holzleisten, an ihren vier Ecken überlappend zusammengefügt. An einem vierten Gemälde (Abb. 4) sind diese Hölzer stumpf miteinander verbunden. Deutlich erkennt man an allen vier Bildrahmen die aufgefalteten, zuklappbaren Doppelflügel.
In den Rahmen 1 – 3 befinden sich bemalte Bildträger, die nur aus Gewebe bestehen können. Holztafeln würden diese Rahmen nicht benötigen. Die nicht durch Zierrahmen verdeckten, überlappenden Verbindungen der drei Holzrahmen legen nahe, dass sie als sichtbare Zierde wahrgenommen wurden und vielleicht sogar der Gewebespannung dienten.

Das Gemälde auf Abb. 4 hat Klappflügel, aber der Rahmen hat keine überlappenden Eckverbindungen und könnte ein einfacher, glatter Profilrahmen sein.

Abb. 4: Darstellung eines Gemäldes mit Klapprahmen auf Konsole. Villa Imperiale, Sala A. Foto: DAI.

Die Abb. 5 und 6 zeigen Gemälde mit Zierrahmen, ebenfalls ohne Eckverbindungen und ohne Klappflügel. Sie stehen nicht auf Konsolen. Abb. 5 hat einen Zierrahmen mit einer mäanderähnlichen Kannelierung und Rosetten auf den Ecken. Der Rahmen von Abb. 6 ist mit einem gut zu erkennenden omegaähnlichen, umlaufenden Ornament verziert. Die
Gemälde 5 + 6 könnten auch auf Holz gemalt, also Tafelgemälde sein, ihre Rahmen ebenfalls aus Holz gefertigt oder stuckiert sein.

Abb. 5: Darstellung eines Gemäldes mit Zierrahmen. Villa Imperiale, Sala A. Foto: DAI.

Sechs gut erhaltene, gut zu erkennende Beispiele antiker, römischer Gemälde, mindestens drei davon auf einem textilen Bildträger. Man kann diese Darstellungen auch unter pompeiiinpictures.com anschauen.

Abb. 6: Darstellung eines Gemäldes mit Zierrahmen. Villa Imperiale, Sala A. Foto: DAI.

Doppelflügel kennen wir von unseren gotischen Altären. Wie dort deuten die Flügel hier auf die Notwendigkeit des Schutzes wertvoller Malereien gegen Schmutz und vor allem gegen Ausbleichen durch ständige Belichtung hin. Das ist ein ziemlich sicherer Hinweis auf nicht lichtechte Farbstoffe wie z. B. organische Pflanzenlacke und empfindliche organische Bindemittel wie Leime, Harze, Öle und Tempera.
Die Quellenschriften dazu sind bekannt und sollen hier nicht näher erörtert werden. Ein kalkgebundenes Fresko mit seiner sehr beschränkten Palette kalk- und lichtechter Pigmente bedarf keines solchen Schutzes.

Das gesamte Sujet antiker Wandmalerei, wie wir es am besten aus Pompeji kennen, basiert zu einem Teil auf einer Wiederholung früherer realer Wanddekorationen mit Material, das hier nur al fresco gemalt dargestellt wird, im sogenannten ersten (griechischen) Stil plastisch. Es hat sich dann im zweiten (römischen) Stil als meist erfundene architektonische Wanddekoration weiterentwickelt, im dritten Stil zu ornamental gegliederten, farbigen Flächen geführt, um dann zu den architektonisch illusionistischen Malereien des vierten Stil zu werden.

In allen Stilen finden sich, besonders in den Zentren der Mittelzonen, Darstellungen von älteren, figürlichen Gemälden. Häufig gehen diese mythologischen Darstellungen in den großen figürlichen Mittelbildern der Pompejanischen Dekorationen, aber auch die der Beispielfotos, auf die bei Plinius und anderen beschriebenen Meister zurück. Die älteren antiken Motive und Kompositionen wurden übernommen und dann hier als Zitate in Freskotechnik ausgeführt.

Allgemein wurden qualitätvollere Malereien hier in Pompeji – ebenfalls in Freskotechnik, von besonders fähigen Künstlern vorher in Werkstätten auf Putzplatten hergestellt und separat in ausgesparte Flächen der Wanddekoration als Mittelbilder eingefügt. Zumindest das Gemälde aus Abb. 2 scheint separat gemalt und später eingefügt zu sein. Die Fugen sind
innerhalb des Leistenrahmens zu sehen.

Nur deshalb waren viele der im Nationalmuseum in Neapel so wunderbar erhaltenen Malereien nach der Ausgrabung so schadlos herausnehmbar. In den Hausruinen in Pompeji blieben dann die leeren Flächen zurück. Doch an keiner dieser bekannten Gemälde ist der ursprüngliche Bildträger der griechischen Vorbilder so deutlich zu erkennen wie an den beschriebenen Darstellungen in der Sala A, Oberzone, der Villa Imperiale.

Abb. 7: Ein weiteres, besonders schönes Beispiel zeigt uns, dass es nicht nur in der Villa Imperiale üblich war, sich mit den Zitaten bekannter Tafelbilder zu schmücken. In der “Casa della Ara Massima” VI/16/15, muss wohl der Besitzer das Originalgemälde eines Narcissus (Stemmer) so bewundert haben, dass er sich eine Kopie als Fresco in seinen Empfangsraum malen lassen hat. Es findet sich gleich vorne in der westlichen Tablinumnische des Atriums gegenüber dem Eingang. In diesem Hause gibt es noch einige andere Zitate antiker Tafelmalerei. Foto: Reinhard Meyer-Graft.

An pompejanischen Wänden des zweiten bis vierten Stils kommen darüber hinaus in den Flächen die weniger beachteten kleinen “Penakes” genannten Bildchen mit den idealisierten Landschaften vor, oft auch mit figürlichen und mythologischen Szenen. Bei genauerer Betrachtung dieser Penakes stellt man fest, dass die Frescomaler unterschiedliche Maltechniken zu imitieren versuchten. Oft erinnern diese Darstellungen dann mit ihrem
Schmelz an Malereien in Enkaustiktechnik auf Holz. Andere dieser kleinen Penakes stehen ebenfalls auf Konsolen, haben gemalte Rahmen und Klappflügel zum Verschließen der Malfläche. Allerdings erkennt man in diesen Fällen kaum, ob sie ursprünglich auf Leinwand oder Holz gemalt waren. Sie sind ebenfalls Zitate der früheren antiken, meist griechischen
Bilderwelt und könnten Gegenstand weiterer Betrachtungen sein.

Die Fragen nach der Grundierung, der genauen Zusammensetzung der Bindemittel und der Oberflächenbehandlungen der dargestellten Tafelmalereien sind in den zahlreichen, schon erwähnten Quellenschriften beantwortet und werden wohl an realen Objekten nicht mehr zu klären sein.

Über zwanzig Jahre habe ich im Bereich Wandmalerei am Forschungsprojekt “Häuser in Pompeji” von Professor Dr. Volker Michael Strocka mitgearbeitet. Dabei stieß ich während der etwa 6500 Stunden vor Ort auf diese und andere Interessante Phänomene. Erste dieser Fotos habe ich schon 1983 machen lassen, gleich nach diesen Entdeckungen.
Ob inzwischen solche Erkenntnisse anderweitig publiziert wurden, habe ich trotz langer Recherchen nicht feststellen können.

Anmerkungen:

(1) Plinius Secentist d. Ä., “Naturkunde”, Buch XXXV, Cap. V. 15 bis Cap. XXXVIII.

(2) Die Ruinenstadt Pompeji war eine mit einer etwa 2 x 3 km großen Stadtmauer befestigte jahrhunderte alte, vorrömische Stadt, zuletzt griechisch. Sie wurde erst 80 vor Christus von den römischen Truppen unter Sulla erobert. Bei der Verschüttung unter einer 6 – 7- Meter dicken Lavaschicht bei dem Vesuvausbruch 79 nach Chr. war das antike Pompeji also eine uralte Stadt. Sie wurde nach der Verschüttung nie überbaut und wird erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts ausgegraben.

(3) Die Villa Imperiale wurde nach einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg entdeckt und erst 1984 ausgegraben. Es handelt sich um einen so genannten suburbanen Bau. Das bedeutet, dass dieses Haus außerhalb der
Stadtbefestigung, in diesem Falle in die Stadtmauer hinein, gebaut wurde. Das war erst nach der Eroberung des griechischen Pompeji durch die Römer mit ihrem Feldherren Sulla im Jahre 80 vor Chr. möglich. Hier geht es um die Sala A, ein Oecus genannter offener Raum zum Garten hin.
Man kann diese Villa unter https://www.pompeiiinpictures.com/pompeiiinpictures/R8/8%2001%20a%20p4.htm besuchen, wo die hier behandelten Bilder gezeigt werden. [letzter Seitenaufruf am 16.06.2021]

(4) Man spricht bei den Wandmalereien in der Zeit des antiken Pompeji von vier Dekorationsphasen, dem 1. bis 4. Stil. Alle vier Phasen weisen
eine ähnliche Gliederung auf: Sockelzone, Mittelzone und Oberzone. Bei
den genannten Beispielen befinden wir uns in der Oberzone des dritten Stils.

(5) Karl Schefold hat in “Die Wände Pompejis” die Bildinhalte beschrieben.

1 Comment

  1. Veröffentlich von Sven Taubert, VDR-Präsident am 6. Juli 2021 um 13:43

    Vielen Dank, lieber Reinhard Meyer-Graft, für die eindrücklichen Impressionen aus Pompeji, der ewigen Stadt. Nie enden die Überraschungen und die Faszination, die dieser Ort seinen Besuchern Jahr um Jahr bietet. Konservator:innen und Restaurator:innen ermöglichen dies durch ihre unermüdliche geduldvolle Arbeit unter oft schwierigen Bedingungen. Danke deshalb an dieser Stelle Dir und Deinen Kolleg:innen vor Ort für Dein langjähriges beharrliches Tun an einer der beeindruckendsten Stätten auf der Welt!

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