Entdeckungen im Wallraf-Richartz-Museum Mit anderen Augen

In Köln läuft diesen Winter eine Ausstellung, über die es sich zu schreiben lohnt. Nicht nur, weil diese alleine von Restauratorinnen kuratiert wurde, sondern auch, weil dies wohl eine der bisher aufwändigsten und größten Ausstellungen zur Kunsttechnologie sein dürfte.

20 Jahre kunsttechnologische Forschung stecken hinter der Schau, die mit „Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet“ überschrieben ist. Gezeigt werden die „Tricks“ von Malern aus Spätmittelalter, Barock, Romantik, Realismus, Impressionismus und Symbolismus, die durch den Einsatz moderner Untersuchungsverfahren zum Vorschein kamen. Mit Röntgenstrahlen, Infrarot und Stereomikroskopen schauten die Restaurator:innen nicht nur auf die Malschichtoberfläche. Sie durchleuchteten alle Schichten – angefangen beim Bildträger über die Grundierung, Vorzeichnung und Malschichten bis hin zum Firnis.

Im Vorraum der Ausstellung begrüßt ein idealtypisches Bild der Malerwerkstatt die ankommenden Besucher:innen. (Theodor Galle nach Jan van der Straet um 1580/1605, Kupferstich, Stiftung Museum Kunstpalast, Sammlung der Kunstakademie (NRW), Düsseldorf)

Wie man 700 Jahre Maltechnik vermittelt

Die Idee für die Ausstellung entstand schon vor vielen Jahren als immer mehr, teils spektakuläre Erkenntnisse über Meisterwerke aus 700 Jahren Malereigeschichte zusammenkamen.

Drei Jahre vor der Ausstellungseröffnung wurde die Schau im Museumskalender fest eingetaktet. Seither kümmerte sich das Restaurator:innenteam um Iris Schäfer nicht nur um ihr Hauptgeschäft – das konservatorische Wohlbefinden der Museumssammlung und die laufenden Restaurierungen. Sie übernahmen zudem, genauso wie sonst ihre Kurator:innen-Kolleg:innen, sämtliche Arbeitsschritte, die zu einer Ausstellungsplanung gehören: Sie erstellten einen inhaltlichen roten Faden. Sie suchten die Gemälde aus, kümmerten sich um die teils erforderlichen Leihnahmen und Urheberrechte. Und sie trugen ergänzendes Anschauungsmaterial zusammen wie zum Beispiel typisches Malmaterial für die Vitrinen oder erklärende Videos zur Maltechnik.

Das Texten, das sonst meist die Museumspädagogen übernehmen, lag in diesem Fall ebenfalls hauptsächlich in den Händen von drei Restauratorinnen. Denn zu speziell ist das Wissen um die kunsttechnologische Forschung. Für die Optik und methodische Vermittlung durfte ganz klar eine ansprechende Ausstellungsarchitektur nicht fehlen. Diese umfasst in diesem Fall bei weitem nicht nur Farbanstrich, Schautafeln und Objektbeschriftung. Präsentiert werden Analysen, Filme und unter den Meisterwerken auch Material zum Anfassen – nämlich bezogen auf das jeweilige Werk entweder das dort verwendete Material des Bildträgers, der Grundierung oder der Malschicht. So sind in den Sälen unter sehr vielen der rund 200 Werke Probetafeln zu finden: angefangen bei den verschiedenen Holztafeln, Metallplatten und Leinwänden, die als Bildträger dienten, bis hin zu unterschiedlichen Grundierungen. Von einem Werk Gabriele Münters ist sogar ein 3D-Druck der pastosen Malschichtoberfläche entstanden, der mit den Händen erkundet werden darf – was augenscheinlich gerne wahrgenommen wird.

Am Gemälde „Villa in Sèvres“ von Gabriele Münter wird deutlich, wie Aufnahmen im Streiflicht den pastosen Farbauftrag sichtbar machen. Erklärt wird hieran auch der Farbauftrag mit Malspachteln.

Spaziergang durch Schichten

Die Schau, die Iris Schäfer mit ihren Kolleginnen Caroline von Staint-George und Anna Bungenberg auf das Parkett der gesamten dritten Museumsetage gebracht hat, ist ein Spaziergang. Ein Streifzug durch die Schichten eines Gemäldes.

So trifft der Besucher im ersten Saal auf den Bildträger. Anhand ausgewählter Gemälde lernt er häufig verwendete Holzarten wie Pappel oder Eiche kennen, Leinwand als den am meisten verwandten, elastischen Malgrund, Metall, das zuweilen bauchig geformt (bombiert) zur Anwendung kam, sowie Papier und Karton mit seinem geringen Gewicht, das gerne für Skizzen und Studien genutzt wurde.

Zu sehen ist auch eine spektakuläre Malerei aus dem 17. Jahrhundert, die auf einer dünnen Steinplatte aufgetragen wurde und die durch eine rückseitige Kerzenbeleuchtung in Szene gesetzt worden sein muss. Der Effekt ist gewaltig: Durch den Kerzenschein beginnen die aufgemalten Feuerflammen zu lodern. Dies ist in der Ausstellung nachgestellt und durchaus beeindruckend, entsteht doch ein bewegtes Bild.

In der logischen Folge schreitet man weiter in den nächsten Saal, der sich mit der Grundierung des Bildträgers befasst – der Schicht also, die den Bildträger auf das Auftragen der Malschichten vorbereitet. Den Besucher:innen ist in diesem Saal spürbar die Faszination anzumerken, die von diesem Arbeitsschritt ausgeht. Interessiert betrachten und betasten sie die Probetafeln unter den Gemälden, die die jeweilige Zusammensetzung, Farbgebung und auch darüberliegende Isolierschicht (Imprimitur) der gezeigten Werke nachbilden. Der Museumsbesucher lernt an dieser Stelle, welchen Einfluss dieses erste Schichtenpaket auf den Auftrag und die Farbwirkung der weiteren Schichten hat. Je nach Färbung des Malgrundes ändern sich Tiefenwirkung und Leuchtkraft der Malerei. Ein unvollendetes Werk der Brüder Le Nain veranschaulicht sehr gut, wie die dort verwendete graue Ölgrundierung den Malprozess erleichterte und auch Einfluss auf die Hautfarbe, das Inkarnat, hatte.

Wie Butter auf Brot

Ein Film der Hochschule für Bildende Künste Dresden gibt Aufschluss über den recht aufwendigen Arbeitsschritt des Grundierens mit den vielen übereinanderliegenden Schichten, der gerade bei Vergoldungen und Punzierungen von größter Bedeutung war und ist. In einer Vitrine sind die typischen Materialien und Werkzeuge zum Grundieren zu sehen, darunter – und das ist selbst unter Fachleuten erwähnenswert – ein seltener Nachbau eines Grundiermessers, mit dem das Kreidegemisch auf den Bildträger aufgestrichen wurde wie Butter auf Brot.

Materialien und Werkzeuge zum Grundieren. In der Mitte der Vitrine ist auch ein Nachbau eines Grundiermessers zu finden, den Sarah Giering 2013 im Rahmen einer Seminararbeit an der HfBK Dresden anfertigte.

Was nun folgt ist aus restauratorischer Sicht die logische Folge: Zu erkunden sind klassische Übertragungstechniken wie die Lochpause oder quadratische Rasterlinien. Diese sogenannten Quadratierungen sind beim unvollendeten Werk „Mephistophesles in Auerbachs Keller“ von Adolph Schroedter sehr leicht mit bloßem Auge zu sehen. Heutige Kunstschüler sollten sie gewiss aus dem Unterricht wiedererkennen.

Vorzeichnungen, die sonst dem Auge verborgen bleiben, kommen ebenfalls zum Vorschein. Im Saal ist eine Infrarotkamera aufgebaut, die flankiert wird von entsprechenden Untersuchungsergebnissen. Diese verdeutlichen, dass Infrarotreflektrografie teils spektakuläre Einblicke in die Kompositionsplanung von Malern geben und zugleich auch bei der Zuschreibung von Künstlern hilfreich sein kann.

Die Malschicht ist das vorletzte Kapitel dieser großartigen und großflächigen Ausstellung, die uns durch viele Museumssäle führt. Auch hier stehen Vitrinen bereit, in denen Rohstoffe wie Pigmente, Bindemittel und Pinsel eine Idee davon geben, aus was Farben eigentlich bestehen. Auch hier ergänzt Filmmaterial der Dresdner Hochschule die gezeigten Werke samt Analysen und gut verständlich getexteten Tafeln.

Verdeutlicht wird der Übergang von der Temperamalerei zur Ölmalerei, die schon Vasari als „wunderschöne Erfindung“ lobte. Die schieren Möglichkeiten dieser Farbe, die später ihren Weg in Farbtuben fanden, wird in den nachfolgenden Räumen deutlich. Die Geschmeidigkeit der Ölfarbe und ihre lange Trocknungszeit erlaubten einen virtuoseren, lockereren Pinselstrich. Sie machten sanfte Verläufe durch das Glätten der Malschicht mit dem Vertreiber möglich und später auch einen pastosen Farbauftrag wie wir ihn von den Impressionisten kennen.

Anhand interessanter Detailaufnahmen zeigt sich, dass nicht nur Pinsel, sondern auch Finger, Federn, Kratzwerkzeuge, Palettmesser, Lappen und andere Werkzeuge Anwendung fanden. Die Maltechnik eines „Baumschlages“ nachzuahmen versucht im Video ein heutiger Künstler mit unterschiedlichsten selbst gebauten Pinseln. Sehenswert.

Der Bogen ins Jetzt

Die Schau hat mehrere Erzählstränge. Zum einen ist sie, so weit es geht, chronologisch sortiert, so wie in der Kunstgeschichte üblich. Zum anderen folgt sie den Arbeitsschritten beim Erstellen eines Gemäldes – beginnend beim Bildträger und endend mit dem Firnis. Daneben berichtet die Schau aber auch über die Entwicklung der Malerausbildung und über die Rolle der Frauen, die erst spät in der hier vorgestellten 700jährigen Malereigeschichte deutlich(er) als Kunstschaffende in Erscheinung treten.

Besondere Freude bereitet der Bezug zum Hier und Jetzt, der sich wie ein roter Faden durch die Säle zieht. „Und heute?“ fragt ein Schriftzug bereits im ersten Saal zu den Bildträgern. Ja, „heute malen Künstler auf allen möglichen Untergründen. Immer häufiger werden moderne Materialien als Bildträger verwendet.“ Am Ende der Schau läuft der Bezug zur Gegenwart in einem großen mittig gelegenen Ateliersaal zusammen, in dem die Besucher selbst dazu eingeladen sind, an Staffeleien zum Bleistift zu greifen. Das erinnert an geliebte Zeichenkurse im Museum in Kindheitstagen und macht Laune zu verweilen. Als Modelle stehen verschiedene Gipsabgüsse, eine lebensgroße Gliederpuppe und an einigen Öffnungstagen sogar ein echtes Aktmodell bereit. Schulklassen sind hier gerne Gast.

Damit schafft das kuratierende Restauratorinnenteam einen interessanten Sprung in die Gegenwart, der sichtbar Spaß macht, ablesbar an den vielen Zeichnungen der Besucher:innen, die im Atelier an der Wand hängen und überdies stapelweise im Museumsbüro nebenan lagern. Vor allem aber gelingt es den Ausstellungsmacherinnen, geballtes Fachwissen so zu vermitteln, dass ihre Gäste wohl fortan Kunstwerke, die ihnen anderenorts begegnen, mit anderen Augen betrachten werden.

Die Sonderschau ist vom 8. Oktober2021 bis zum 13. Februar 2022 exklusiv in Köln zu sehen.

Information zur Schau beim Wallraf-Richartz-Museum

Katalog:

Neben der aufwändigen und innovativen Ausstellung entstand ein 256 Seiten schwerer Ausstellungskatalog, der all das Gezeigte wunderbar illustriert und zusammenfasst:

Iris Schaefer (Hg.): Entdeckt! Maltechniken von Martini bis Monet. Katalog zur Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum 2021/2022, Köln: Wienand 2021, 256 S., ISBN 978-3-86832-660-4, EUR 30,00

* Der Katalog ist bereits vielerorts vergriffen.

Bildnachweis Einstiegsfoto: Streiflichtuntersuchung eines Gemäldes, Abteilung Kunsttechnologie und Restaurierung im Wallraf, Foto: Nina Gschößl für museenkoeln Das Museumsmagazin

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