Er ist weltweit eines der bedeutendsten spätmittelalterlichen Kunstwerke aus Alabaster und ein Hauptwerk der Liebieghaus Skulpturensammlung: der um 1430 entstandene Rimini-Altar. In den letzten vier Jahren wurden am Rimini-Altar vielfältige konservatorische und restauratorische Eingriffe durchgeführt, vornehmlich eine besonders schonende Oberflächenreinigung durch Lasertechnologie sowie durch gipsgesättigte Agar-Gel-Kompressen. Zudem erfolgte eine umfassende kunsttechnologische Untersuchung des Werks. Dabei konnten nicht nur grundlegende Erkenntnisse zum werktechnischen Aufbau des Altars gewonnen werden, sondern auch durch weitere naturwissenschaftliche Forschungen des BRGM (Bureau de Recherches Géologiques et Minières) in Orléans auch das Abbaugebiet des Alabastergesteins nachgewiesen werden – Ergebnisse, die neue Impulse für die kunsthistorische Forschung zum Œuvre des Rimini-Meisters bringen.
In einer Sonderausstellung werden die Ergebnisse dieses internationalen Restaurierungsprojekts dem Publikum sichtbar gemacht. In vier Bereichen erläutern die Restauratoren des Liebieghauses, Harald Theiss und Miguel González de Quevedo Ibáñez sowie der Sammlungsleiter für das Mittelalter, Stefan Roller, die charakteristischen Eigenschaften des Materials Alabaster sowie einzelne Schritte der kunsttechnologischen Analyse. Daneben verdeutlichen sie die Herausforderungen der Restaurierung des hochempfindlichen Materials und setzen sich mit Fragen zur Bildhauertechnik sowie der ursprünglichen Farbigkeit des Kunstwerks auseinander. Den Höhepunkt der Sonderausstellung markiert die Präsentation des Meisterwerks in einem maßgefertigten 4,0 × 3,5 Meter großen Display, dessen Form sich an zeitgenössischen niederländischen Altären orientiert.
Das Zentrum des Kunstwerks bildet eine aus mehreren Blöcken gearbeitete Kreuzigung Christi, flankiert von jeweils sechs Aposteln. Die allesamt vollrund ausgearbeiteten und ehemals partiell farbig gefassten Bildwerke entstammen einem Altarretabel der Wallfahrtskirche Santa Maria delle Grazie in Rimini-Covignano. Entstanden sind sie allerdings in den südlichen Niederlanden um 1430, womöglich in Brügge. Auf die große kunsthistorische Bedeutung und die Einzigartigkeit des Rimini-Altars verweist die Tatsache, dass das Werk für einen Großteil der Alabasterskulpturen des beginnenden 15. Jahrhunderts international namensgebend ist. So findet sich die Künstlerzuschreibung „Meister des Rimini-Altars“ in Museen und Kunstsammlungen von Warschau, Berlin und München über Barcelona, Paris und London bis nach New York und Los Angeles.
Die stark idealisierten Bildwerke des Rimini-Altars folgen noch weitgehend der charakteristischen Formästhetik des sogenannten Schönen Stils, der aufgrund seiner europaweiten Verbreitung zwischen ca. 1380 und 1430 als Internationaler Stil bekannt ist. In der realistischen Wiedergabe mancher anatomischer und physiognomischer Details der Schächer deutet sich jedoch ein stilistischer Wandel an. Hier zeigt sich ein neuartiges Interesse an Naturbeobachtung, das sich auch in der damaligen niederländischen Malerei Jan van Eycks, Robert Campins oder Rogier van der Weydens beobachten lässt und wegweisend für die Kunst der folgenden Jahrzehnte war.
Meister des Rimini Altars. Kreuzigungsaltar aus Rimini, Südniederlande um 1430 (Detail) Alabaster, geringe Reste alter Fassung. Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main (Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung) Meister des Rimini Altars. Kreuzigungsaltar aus Rimini, Südniederlande um 1430 (Detail) Alabaster, geringe Reste alter Fassung. Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main (Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung)
„Bisher hat sich keine wissenschaftliche Arbeit explizit mit dem Material und der Werktechnik der Objektgruppe des Rimini-Altars beschäftigt – ein Desiderat. Sowohl aus den bildhauerischen Eigenschaften des Materials Alabaster als auch aus dem künstlerisch-handwerklichen Herstellungsprozess lassen sich viele Informationen ableiten, die zur zuverlässigen Beurteilung der Werke des Rimini-Meisters in hohem Maße hilfreich sein können,“ erläutern Harald Theiss und Miguel González de Quevedo Ibáñez ihr wissenschaftliches Anliegen. Das von der Ernst von Siemens Kunststiftung im Rahmen der Initiative „Kunst auf Lager“ geförderte Restaurierungsprojekt konnte 2017 begonnen werden und findet nun mit der Sonderausstellung und der Veröffentlichung der begleitenden Publikation seinen Abschluss. Für die Reinigung des hochempfindlichen Materials erwarb die Liebieghaus Skulpturensammlung eigens einen Laser. Zusammen mit weiteren restauratorischen Maßnahmen wurden in den letzten Jahren verfälschende und aus heutiger Sicht konservatorisch bedenkliche Ergänzungen am Kunstwerk behoben.
In Kooperation mit dem Forschungslabor des BRGM Orléans und in enger Zusammenarbeit mit dem Musée du Louvre konnte die exakte Steinsubstanz bestimmt werden. „Erst seit wenigen Jahren lässt sich die geografische Herkunft von Alabaster bestimmen. Im Falle des beim Rimini-Altars verwendeten Gesteins hat uns das Ergebnis absolut überrascht,“ erläutert Stefan Roller. Alabaster zählt zu den empfindlichsten Steinsorten überhaupt. Als eine kristalline Form des Minerals Gips ist es zugleich wasserlöslich und nicht hitzebeständig sowie extrem druck- und bruchanfällig. Das Material lässt sich schnell und ungewöhnlich feinteilig und filigran mit leichter Druckausübung beschnitzen und ausschleifen. Für die Restaurierung des Meisterwerks ergaben sich aus der Materialanfälligkeit allerdings verschiedene Herausforderungen.
In der Ausstellung wird das Schadensbild des Rimini-Altars eingehend vorgestellt und ein Überblick über die komplizierten konservatorischen Anforderungen gegeben, die bei der Behandlung von Alabaster in der Vergangenheit oftmals nicht erkannt, berücksichtigt oder fehlinterpretiert wurden. Das vom Restauratorenteam entwickelte und von externen Naturwissenschaftlern geprüfte Restaurierungsverfahren mit Laser und gipsgesättigten Agar-Gel-Kompressen wird erläutert und mit zahlreichen Arbeitsproben nachvollziehbar illustriert. Schritt für Schritt wird erklärt, wie mit diesem Verfahren eine Reinigung des heiklen Alabasters möglich wurde ohne diesen in irgendeiner Form zu beschädigen. Darüber hinaus wird erläutert, warum und wie die revisionsbedürftigen Ergänzungen aus jüngerer Zeit sowie die zahlreichen Bruchklebungen entfernt und erneuert wurden.
Aus der kunsttechnologischen Untersuchung des Rimini-Altars ergaben sich zudem zahlreiche offene Fragen zum bildhauerischen Herstellungsprozess, zur ursprünglichen optischen Erscheinung der ehemals vorhandenen Oberflächenveredelung sowie zur Farbigkeit der mittelalterlichen Alabasterskulptur. Erste Antworten darauf konnten die Wissenschaftler mit einer experimentellen bildhauerischen Rekonstruktion der Figur des Apostels Bartholomäus aus dem Altarensemble finden. Eine ausführliche praktische Studie zur Oberflächenveredlung und Farbigkeit von erstklassigen mittelalterlichen Alabasterwerken ergänzen die wissenschaftliche Forschungsarbeit.
Die Ausstellung läuft bis 24. April 2022
www.liebieghaus.de
Publikation: Zur Ausstellung erscheint im Deutschen Kunstverlag eine von Stefan Roller und Harald Theiss herausgegebene Publikation in deutscher und englischer Sprache, deutsche Ausgabe 300 Seiten, 39,90 Euro (Museumsausgabe)
Text und Bilder: Pressemitteilung des Liebieghauses