Raue: "Respekt gegenüber den Angehörigen des Restauratorenberufes kommt deutlich zu kurz" „Letzte Generation im Museum: Sichere Räume für unsichere Ideen“ – ein Widerspruch

In seinem Gastbeitrag „Letzte Generation im Museum: Sichere Räume für unsichere Ideen“ vom 16.06.2023 in der Wochenzeitung „der Freitag“ erklärt der Konservierungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan Simon, warum Museen mit Klimaaktivist:innen zusammenarbeiten sollten. Hierzu regt sich Widerstand von Jan Raue, Professor an der FH Potsdam und ehemaligem VDR-Präsident.

„Ich möchte nach reiflicher Überlegung der zentralen These von Stefan Simon in seinem vom VDR-Newsletter im Juli verlinkten Artikel aus dem „Freitag“ aus Sicht eines Restaurators widersprechen. Ich kenne und schätze Stefan Simon sehr, und ich konnte schon oft selbst als praktizierender und forschender Restaurator von seiner naturwissenschaftlichen Expertise profitieren. Bei der Auswahl von Proben, bei der Interpretation von Analysen u.a. hatte ich schon oft das Vergnügen, einer Meinung mit ihm zu sein. Ich gehe fest davon aus, dass das auch zukünftig immer wieder so sein wird. Andererseits ist es manchmal auch erforderlich, auf sachlicher und professioneller Ebene miteinander zu streiten.

Anthropogene klimatische Veränderungen sind ohne Zweifel auch für Denkmalpflege und Museen ein wichtiges Thema, das zum Handeln auffordert. Die Frage ist, welche Handlungen geeignet sind, einen positiven Effekt zu erzielen. Diese Frage stellt sich besonders bohrend bei den Angriffen der letzten Wochen und Monate auf Kunstwerke in Museen im Namen des Klimaschutzes. In seinem Beitrag reflektiert Stefan Simon durchaus einige der negativen Konsequenzen, die von den Taten der sog. Letzten Generation für die Museen, ihre Objekte und ihr Publikum ausgehen. Er fokussiert dabei vor allem auf die sich limitierend auf den Zugang auswirkenden zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, wie z.B. verschärfte Personenkontrollen. Das ist zutreffend. Es kann jedoch nicht ausgeblendet bleiben, dass es sich dabei um Straftaten handelt, die gegen das kulturelle Erbe und damit am Ende gegen uns alle gerichtet sind. 

In seinem Beitrag folgt Stefan Simon streckenweise der Logik, dass der Zweck die Mittel heilige. Es ist eine Binsenweisheit in der zivilisierten Welt, dass dem nicht so ist. Dass er oder ich oder viele von uns bis zu diesem oder jenen Grad Ziele von Klimaaktivisten teilen, kann noch lange nicht bedeuten, dass wir jede Form des Aktivismus teilen können, mit denen versucht wird, diese durchzusetzen. Die Taten wären auch dann nicht zu verharmlosen, wenn sie sich gegen den – wie Stefan Simon hier völlig zurecht anmerkt – wahrhaft „skandalösen“ Energie- und Ressourcenverbrauch vieler großer Museen richten würden. Dabei kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass selbst das nicht der Fall ist, sondern dass es um kaum mehr als um den „Skandal“ geht, um das Aufsehen in den Medien. Die Devise, „Der Feind meines Feindes (d.h. hier des Museumsenergieverbrauchs) ist mein Freund“, hat noch nie funktioniert und tut es auch in diesem Fall nicht. Man muss sich nur vergleichbare Aktionen aus jenem politischen Spektrum, wie z.B. das Absägen von Bäumen vor dem Kanzleramt, um damit für mehr Klimaschutz zu werben, vor Augen führen. Diese Vorgehensweisen sind absurd bis zynisch und lassen sich auch mit der größten Anstrengung nicht nachträglich ins Sinnhafte umbiegen. 

In den Diskussionen wird relativ viel Aufwand betrieben, um die Motivationen derer, die Kunstwerke in Museen als Geiseln im Ringen um Aufmerksamkeit für ihre Überzeugungen nehmen, zu verstehen. Dabei empfinde ich, dass innerhalb der ganzen Diskussion der Respekt gegenüber den Angehörigen des Restauratorenberufs und ihren Leistungen deutlich zu kurz kommt. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, haben in teils langen, arbeitsreichen und oft mies bezahlten Berufsleben für die Erhaltung des wertvollen Bestands in den Museen und in der Denkmalpflege viel geleistet – und tun das tagtäglich weiter. Ich möchte wissen, was einer Restauratorin, einem Restaurator durch den Kopf geht, während sie sich in dem Bewusstsein, dass ihre Arbeit gerade mit Suppe beworfen oder mit Sekundenkleber beschädigt worden ist, erneut über einen gerade erst aufwendig konservierten Rahmen o.ä. beugen müssen. Das heißt doch nichts anderes, als dass hier mangelnder Respekt ausgedrückt wird – wenn nicht schon vor dem Kunstwerk, dann vor der hingebungsvollen konservatorischen Arbeit, die darin aufgehoben ist.

Die Werke hängen und stehen heute aufgrund dieser Lebensleistungen in oft hervorragenden Erhaltungszuständen in den Häusern, um dort zu erfreuen, zu erbauen, zum Denken und zum miteinander Sprechen anzuregen – und eben gerade nicht zum Bewerfen und Bekleben. Hier geht es für die Museen ganz schlicht um das Zeigen von Haltung im besten Sinne. Vandalismus ist nicht Zivilisation, Rechtsbruch ist nicht Kultur, Sachbeschädigung ist nicht Klimaschutz. So einfach und so wahr. – „Sichere Räume für unsichere Ideen“: Schon die Überschrift verstehe ich überhaupt nicht. Sollen Museen etwa in Zukunft betreute Spielplätze für ein Publikum sein, das dort Unausgegorenes (der Kanzler Olaf Scholz hat dazu formuliert: „Beklopptes“) am nationalen und Weltkulturerbe ausprobieren darf?

In einem sind Stefan Simon und ich hingegen vollkommen einig, dass die weiterhin optimale (!) Erhaltung der Kunstwerke im Museum zukünftig mit geringerem Energieaufwand geleistet werden soll und kann. Auch daran arbeitet unser Berufsstand engagiert mit, vgl. Umfrage zum „Erweiterten Klimakorridor in Museen“ im Newsletter 08-23. Es braucht uns daher niemand daran zu erinnern, indem er oder sie sich im Museum mit Sekundenkleber an einen kostbaren Rahmen klebt, der dann kräfte-, zeit- und ressourcenverschwendend wieder restauriert werden muss. Es ist nicht witzig, es entbehrt jeder Anmut und Würde und – es ist dem Klima in keiner Weise zuträglich. Es ist weitaus besser, miteinander zu reden. 

Prof. Dr. Jan Raue
(2015-19 Präsident des VDR)
21.08.2023″

Link zum Artikel „Letzte Generation im Museum: Sichere Räume für unsichere Ideen“ von Stefan Simon vom 16.06.2023 in „der Freitag“

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