Kann ein Künstler den Flügelschlag eines Schmetterlings festhalten? Warum verfärben sich die Blätter auf Gemälden bisweilen braun? Können Bilder Wunder vollbringen?
Antworten auf diese und andere Fragen geben neun Forscherinnen im neuen Buch „Kunst! Forschen“ von Restauratorin Sigrid Eyb-Green. Auf 60 reich illustrierten Seiten im großzügigen Bilderbuchformat berichten die Kunsthistorikerinnen und Restauratorinnen von den Geheimnissen, die sie Kunstwerken entlocken konnten und von dem geschichtlichen Umfeld, aus dem sie hervorgingen.
Vorgestellt werden Kunstwerke, für die Leinwände, Holztafeln, Wände und Papier bemalt, bedruckt oder vergoldet wurden. Gezeigt werden Skulpturen aus Holz, Wachs, Bronze und Beton und sogar ein Kunstwerk, das eigentlich nur aus einem Duft besteht.
Erzählt werden Geschichten über Menschen, die mit den Werken in Verbindung standen. Geschildert werden Erkenntnisse wie Werke gemacht wurden und welche Veränderungen sie erfahren haben.
Die Leser:innen erwartet somit kein chronologischer Streifzug durch die Kunstgeschichte, sondern neun unabhängig voneinander zu lesende Geschichten, die Erkenntnisse aus Kunstwissenschaft – Kunsttechnologie und Restaurierung gekonnt miteinander verschmelzen.
Einen vortrefflichen Einstieg in das Buch bietet die Geschichte des Malers Georg Brentel. Inmitten des Dreißigjährigen Krieges gelangte dieser im damals florierenden Straßburg zu großem Ruhm und spezialisierte sich auf die Produktion von Porträts im Miniaturformat – die wie heutige Fotografien in jede Hosentausche passten. Das Besondere an dem Maler ist jedoch, dass er des Lesens und Schreibens kundig war und zu Lebzeiten vielfältige Informationen zu seiner Maltechnik in einem Manuskript niederschrieb. Somit vermittelt diese erste Episode einiges über den Wert und die Herstellung der oftmals giftigen Pigmente und wo man diese kaufte.
Das darauffolgende Kapitel „Hoppla Kunst“ springt rund 300 Jahre in Richtung Gegenwart und beschreibt den Beginn von „Kunst am Bau“ ab den 1920er Jahren. Hierbei lernen die Leser:innen, einiges über die Materialvielfalt in der Kunst und darüber, dass Kunst starke Emotionen hervorrufen und zu Vandalismus führen kann.
Sodann reisen wir in die Niederlande vor 400 Jahren, in eine Zeit also, in der eine Tulpenzwiebel so viel kosten konnte wie ein ganzes Haus. Uns erwartet ein spannendes Kapitel über naturgetreue Malerei, in der sogar Schmetterlingsflügel zum Einsatz kamen (Aufklappseite unten).
Auf der Bilderreise bleiben wir weiter in der frühen Neuzeit der Niederlande. Thema ist die Kunst der Blättermalerei im 17. Jahrhundert, anhand der deutlich wird, dass jeder Künstler seine eigene unverwechselbare Handschrift hatte und es äußert schwierig war, Grüntöne herzustellen.
Weiter geht es nach Florenz. Im Kapitel Wunderbilder besuchen wir die Kirche Santissima Annunziata in Florenz. Dort erwartet uns eine besonders lesenswerte Geschichte über ein Wunderbild, das Auswirkungen auf die Gestaltung eines ganzen Kirchenraums hatte und sich dadurch selbst veränderte.
Strich für Strich setzen wir über nach England. Dort erfahren wir einiges über den weltbekannten Maler William Turner und darüber, was dieser mit dem Buchdruck zu tun hatte. Wir lernen die Bilderfabrik von Sir Peter Lely kennen, erfahren einiges über rätselhafte Damenporträts, über die Make-Up-Farbe von Queen Elisabeth I. und über ihren angeblichen Liebhaber, den Höfling Christopher Hatton, der der Nachwelt ein faszinierendes Bilderrätsel hinterließ (Beispielseite unten).
Das mittelalterliche Memmingen soll im Buch die letzte Kunststation sein. Dort entsteht in der Werkstatt von Ivo Strigel ein aufwändiger Flügelaltar, der heute die Frage aufwirft, wie sich diesen eine kleine Bergbauerngemeinde im schweizerischen Graubünden überhaupt leisten konnte. Zudem beeindruckt der damals wohl zwei Monate währende Transport des Altars über die Alpen.
Nach Ende der abwechslungsreichen Lektüre darf man schließlich die Forscherinnen hinter den Geschichten kennenlernen. Ein gelungener Abschluss.
Insgesamt ist das Buch sehr schön gestaltet. Besonders begeistern die aufklappbaren Doppelseiten, die gespickt sind mit vielen Detailfragen und anschaulichen Zeichnungen. Durch die Fragen in den Sprechblasen erhält man viele Anregungen und Informationen, die sich auch einzeln lesen lassen.
Wie bei einem klassischen Kinderbuch kommt die Publikation ohne Inhaltsverzeichnis aus, auch gibt es außer den Kapitelüberschriften keine Unterzeilen, sodass man als Leser:in nicht genau weiß, was einen erwartet. Somit fängt man also doch vorne an zu lesen und hört hinten auf, auch wenn es theoretisch möglich wäre im Buch zu springen. Diesbezüglich wäre ein wenig mehr Struktur hilfreich gewesen.
Das Lesealter ist mit „ab zehn“ Jahren angegeben. Dieses würden wir etwas hochdatieren auf ab zirka zwölf Jahre, da für die Lektüre einschlägiges Interesse für Kunst und Geschichte vorhanden sein sollte. Vorrangig ist das Buch aber auch allen Erwachsenen zu empfehlen, denn selbst Studierenden der Kunstgeschichte und Restaurierung bietet es einige erhellende Momente.
Insgesamt bereiten die flüssig geschriebenen und klar verständlichen Texte (die durchaus Fachtermini enthalten) viel Spaß beim Lesen. Daher sprechen wir an dieser Stelle gerne auch eine Empfehlung aus:
Unter den Tannenbaum legen!
Ergänzende Informationen zum Buch: