Gent im Themenjahr Jan van Eyck und die optische Revolution

Es ist die größte Jan-van-Eyck-Ausstellung, die es je gegeben hat. Nur etwa 20 Werke haben sich von diesem genialen Maler, der vor rund 600 Jahren tätig war, weltweit erhalten. Gut die Hälfte davon hat nun ihren Weg nach Gent gefunden und wird hier in den gesellschaftlichen und künstlerischen Kontext der burgundischen Niederlande, in dem die Bilder entstanden sind, eingeordnet. Die Stadt Gent beginnt ihr Themenjahr, in dem sich alles um Jan van Eyck und dessen „optische Revolution“ drehen wird, im Museum der Schönen Künste.


Hier geht es zu Jan van Eyck im Museum für Schöne Künste. (Foto: Schoenebeck)


Noch immer wirft die Vita des Künstlers, der um 1390 wahrscheinlich in Maaseik geboren und 1441 in Brügge gestorben ist, viele Fragen auf. Allzu viel weiß man nicht über Jan van Eyck, der als Hofmaler für den burgundischen Herzog und als Meistermaler in den Kreisen der städtischen Elite tätig war und nach heutigen Maßstäben zur künstlerischen Avantgarde gehörte. Die von ihm porträtierten Personen bekamen individuelle Gesichtszüge, statt Goldgrund belebten Landschaft und Stadtansichten den Hintergrund seiner Gemälde und die in vielen dünnen Lasuren aufgetragene Ölmalerei gab die Wirklichkeit mit Licht und Schatten auf höchst realistische Weise wieder.

Das wird ganz besonders anschaulich, wenn in der Ausstellung die Werke von Meistern des späten Mittelalters und der frühen Renaissance wie Benozzo Gozzoli, Fra Angelico, Petrus Christus oder Masaccio denen des Jan van Eyck gegenübergestellt werden. Einen Vergleich müssen diese Meisterwerke eigentlich nicht scheuen. Doch wird die „optische Revolution“, mit der van Eyck unsere Sehgewohnheiten bis heute beeinflusst, dadurch umso deutlicher.


Vor der St. Bavo Kathedrale in Gent steht das Modell des Genter Altars. (Foto: Schoenebeck)


Der Genter Altar steht im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die zwischen 2012 und 2016 restaurierten Außenflügel des Genter Altars (1432). Sie wurden, um Gedränge möglichst zu vermeiden, über mehrere der insgesamt 13 Ausstellungssäle verteilt. Während seit Ende 2019 die zentrale Innentafel mit der Darstellung des Lamm Gottes restauriert wird, darf man aktuell die von Übermalungen befreiten Tafeln mit der Verkündigungsszene, dem Stifterpaar Joos Vijd und seiner Frau Elisabeth Borluut sowie den gemalten Statuen von Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten bestaunen. Auch die noch nicht restaurierten Tafeln von Adam und Eva sind zu sehen.


Die restaurierten Außenflügel des Genter Altars (1432) von Jan und Hubert van Eyck, Öl auf Holz, St. Bavo Kathedrale Gent (Foto: www.lukasweb.be – Art in Flanders vzw)


Bei der Restaurierung – die in weiten Teilen als Schaurestaurierung vor den Augen der Öffentlichkeit stattfand – begann man mit der Entfernung mehrerer vergilbter Firnisschichten. Erst dann entdeckten die Restauratoren, dass rund 70 Prozent der Oberfläche im 16. und 17. Jahrhundert übermalt worden war, zum Teil sogar mehrmals. Nach eingehender Beratung, in der auch ein internationales Expertenkomitee hinzugezogen wurde, entschloss man sich, die Übermalungen – soweit möglich – zu entfernen. Dies geschah unter dem Mikroskop mit einem Skalpell und mit Unterstützung von neuartigen Bildgebungsverfahren.

Farben, Leuchtkraft und Detailreichtum von Jan van Eycks feiner Ölmalerei kommen nach der Restaurierung wieder zur Geltung. Die Farbkombination grün und rosa im Gewand der Elisabeth Borluut könnte einen neuen Trend setzen, bei ihrem Mann lassen sich einzelne Hautunreinheiten im Gesicht ausmachen und man erkennt nun, dass die Grisaille-Malerei der beiden Johannes-Figuren feinsten Marmor imitiert. So nah wie jetzt wird der normale Besucher dem Genter Altar so schnell nicht wieder kommen können.


Diese Kapelle in der St. Bavo Kathedrale ist die Heimat des Genter Altars. (Foto: Schoenebeck)


Aufsehen erregte zwischenzeitlich auch die Entdeckung des ursprünglichen Aussehens des Lamm Gottes, der zentralen Figur des gesamten Altars. Nach der Freilegung von Übermalungen aus mehreren Jahrhunderten erscheint das Lamm mit einem menschenähnlichen Gesicht, das den Betrachter direkt anzublicken scheint. Während die Fachleute noch staunten, machte das Lamm auf den Social Media-Kanälen als Meme bereits die Runde.

VDR-Restauratorinnen entfernen trübe Firnisschichten


Bildnis des Baudouin de Lannoy, um 1435 von Jan van Eyck, Öl auf Holz, Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Berlin http://closertovaneyck.kikirpa.be, (Foto: KIK-IRPA, Brüssel)


Einige Bilder, darunter auch das Porträt des Baudouin de Lannoy (1438/40) aus der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, werden nach ihrer Restaurierung zum ersten Mal in Gent der Öffentlichkeit präsentiert. Das Porträt war – auch gefördert vom Genter Museum für Schöne Künste – von Juni 2019 bis Januar 2020 restauriert worden. „Über der Malerei liegen mindestens fünf nicht originale, ursprünglich transparente Firnisschichten, die inzwischen durch Alterung vergilbt und trüb geworden sind. Retuschen und Übermalungen aus mindestens drei verschiedenen Restaurierungsphasen lassen sich differenzieren“, schrieben die zuständigen Restauratorinnen Babette Hartwieg und Sandra Stelzig vor der Restaurierung. Jetzt ist die feinteilige, differenzierte Malweise, die das Dargestellte in einem erstaunlichen Realismus wiedergibt, sichtbar geworden.


Das Museum für Schöne Künste hat während der Jan-van-Eyck-Ausstellung seine Öffnungszeiten erweitert. (Foto: Schoenebeck)

Info
Die Ausstellung „OMG! Van Eyck was here“ läuft bis zum 30.04.2020 im Museum für Schöne Künste (MSK) in Gent, dem ältesten Kunstmuseum Belgiens. Für die Ausstellung wurden die Öffnungszeiten erweitert, z.T. bis in die späten Abendstunden. Tickets am besten im Online-Vorverkauf bestellen. Der Audioguide ist im Eintrittspreis enthalten, er ist einfach zu handhaben und liefert viele Details und Vertiefungsangebote zu ausgesuchten Werken und Themen. Im Oktober 2020 soll in der St. Bavo-Kathedrale ein komplett neues Besucherzentrum eröffnet werden. Hierhin wird dann der restaurierte Genter Altar zurückkehren.

Zum Weiterlesen
Einen ersten Überblick, auch über die wechselvolle Geschichte des Altars, gibt dieser Artikel der Deutschen Welle.

Für Restauratoren sehr empfehlenswert ist die Website „Closer to Van Eyck: The Ghent Altarpiece Restored“. Hier veröffentlicht die Getty Foundation, die die Restaurierung des Altars gefördert hat, die Dokumentation der Arbeiten mit hochauflösenden Fotos. Daran lassen sich die Zustände der Tafeln vor, während und nach der Restaurierung genauestens ablesen.

Gent ist einen Besuch wert. (Foto: Schoenebeck)

Text: Gudrun von Schoenebeck

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