Über die Bedeutung der Alltagskultur „… endlich mal nicht mit der Crème de la Crème beschäftigen.“

Nicht die repräsentativen Objekte, reich verziert und aus edlen Materialien stehen im Mai im Fokus der Tagung der VDR-Fachgruppe Möbel und Holzobjekte. Statt Hochkultur wird es um Alltagskultur gehen, um die banalen Objekte des täglichen Gebrauchs, die bislang oft vernachlässigt worden sind. Gerade sie erzählen vom Leben und Arbeiten der Menschen verschiedener sozialer Schichten und Gruppen.

Warum die Erforschung, Konservierung und Restaurierung der Alltagskultur so wichtig ist, darüber sprach Gudrun von Schoenebeck von der Online-Redaktion des VDR mit den Möbel- und Holzrestauratoren Wolfram Bangen und Helge Bartsch.

Wolfram Bangen ist Vorsitzenden der Fachgruppe Möbel und Holzobjekte und arbeitet als Museumsrestaurator im LWL-Freilichtmuseum Detmold.

Helge Bartsch arbeitet als selbstständiger Holzrestaurator im Allgäu. Der Geschichtswissenschaftler ist auch als vereidigter Sachverständiger für Baudenkmalpflege und Möbelrestaurierung tätig.

Herr Bangen, warum haben Sie dieses Tagungsthema gewählt?

Kinderstuhl (LWL-Freilichtmuseum Detmold, Foto: Hesterbrink/Pölert)

Wolfram Bangen: Wir wollen die Objekte der Alltagskultur mehr in den Fokus rücken, weil wir dringend damit beginnen müssen, sie zu schützen und zu erhalten. Die Objekte des Alltags sind nicht weit verbreitet, weil dem einfachen Stuhl eben nicht die gleiche Wichtigkeit beigemessen wird, wie zum Beispiel einem im fürstlichen Auftrag hergestellten, reich verzierten Möbelstück. Wir sollten aber die Dinge des alltäglichen Gebrauchs, die es in den Museen und bei Privatleuten gibt, auf dem gleichen Niveau erhalten wie die wertvollen Möbel.

Ich arbeite in einem Freilichtmuseum, da ist die Alltagskultur des normalen Bürgers ein wichtiges Vermittlungsthema. Unser Ansatz ist, dass ein Bauernstuhl genauso wertvoll ist wie etwa ein Rokoko-Möbel. Im Bauernstuhl zeigen sich vielfach die Gebrauchsspuren und die bleiben bei der Konservierung erhalten, denn sie gehören zum Werdegang und spiegeln gelebte Kultur. Im Freilichtmuseum zeigen wir zum Beispiel das Haus einer Familie von 1779 bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Da sind die Objekte einfacher Art genauso schützenswert wie die hochwertigen Objekte und sie werden deshalb nach denselben konservatorischen Standards behandelt.

Sollten die Objekte des alltäglichen Gebrauchs nach einer Konservierung-Restaurierung auch wieder funktionstüchtig sein?

Wolfram Bangen: Was die Nutzbarkeit betrifft, kommt man tatsächlich ziemlich schnell mit den Wissenschaftlern in eine Diskussion. Nehmen wir zum Beispiel eine alte Standuhr, wie sie vielleicht in einem Bauernhaus gestanden hat. Soll man das Uhrwerk zum Laufen bringen, oder nicht? Das muss man im Einzelfall entscheiden, aber wenn die Uhr tickt und schlägt, hat das auf jeden Fall einen großen Charme und ist wichtig für die Atmosphäre in einem Haus. Man muss die Restaurierungskonzepte auch immer im Kontext des Auftraggebers sehen. Bei dem Beispiel Uhr wäre hier auch eine digitale Tonaufzeichnung als Lösung denkbar.

Zimmerklosett (LWL-Freilichtmuseum Detmold, Foto: Hesterbrink/Pölert)

Sind die Materialien und konservatorischen Fragestellungen bei den Alltagsobjekten die gleichen wie bei künstlerisch wertvollen Gegenständen?

Wolfram Bangen: Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Punkte. Viele der Alltagsmöbel wurden lange Zeit vernachlässigt und haben auf dem Dachboden oder im Stall gestanden. Sie sind zwar oft in einem schlechten Zustand, haben aber auch vielfach noch die originalen Oberflächen. Diese drohen verloren zu gehen, wenn wir die Alltagsobjekte weiterhin zweitklassig behandeln.

Außerdem müssen wir uns dringend mit den Materialienkombinationen der Moderne, die im Zusammenhang mit dem Holz auftreten, beschäftigen. Etwa die Objekte aus den 40er, 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, die mehr und mehr in den Fokus treten. In einem Vortrag auf unserer Tagung wird zum Beispiel die Untersuchung und Restaurierung eines Stuhls von Charles Eames mit Fellbezug behandelt.

Warum findet die Tagung in Nürnberg statt?

Wolfram Bangen: Zunächst einmal ist das Germanische Nationalmuseum ein hervorragender Tagungsort. Es gibt eine große volkskundliche Sammlung und wir bieten dort auch mehrere Führungen an. Die Erreichbarkeit und die Räumlichkeiten im Museum sind bestens und nicht zuletzt wurde in Nürnberg unsere Fachgruppe vor 40 Jahren gegründet. Das werden wir auch angemessen feiern.

Webstuhl, um 1700, im Atelier vor der Restaurierung (Foto: Helge Bartsch)

Herr Bartsch, Ihr Vortrag auf der Tagung heißt „Der sollte wieder wie früher funktionieren, ist das möglich?“ Klingt geheimnisvoll …

Helge Bartsch: Das war eines dieser Objekte, das man in die Finger kriegt und wovon man zunächst gar keine Ahnung hat. Es handelt sich um einen alten Webstuhl, der einer österreichischen Weberei geschenkt worden war und die ihn zum 200-jährigen Firmenjubiläum in ihrer Ausstellung zeigen wollte. Spannend ist, wie der Webstuhl überhaupt dorthin gelangt war.

Die Weberei stand vor einigen Jahren kurz vor dem Bankrott, weil die Nachfrage nach Tischdecken und Bettwäsche aus Damast, die dort hergestellt wurde, extrem gesunken war. Der Zufall ergab es, dass der Produktionsleiter der Weberei während eines Urlaubs in Ägypten einen afrikanischen Hotelgast kennenlernte, der sich sehr für die Angebote der Weberei interessierte. Tatsächlich wurde daraus ein Riesenauftrag und die Weberei liefert mittlerweile nach Afrika rund 37 Millionen Meter Stoff, der für die traditionellen weiten Gewänder, die Bubus, weiterverarbeitet wird.

Webstuhl, um 1700, nach der Restaurierung (Foto: Helge Bartsch)

Die Auftragslage verbesserte sich also rasant und während die Firma neue Produktionsstätten aufkaufte, entdeckte man eine Zeitungsanzeige, in der ein historischer Webstuhl verschenkt werden sollte, aber nur in fachmännische Hände. Genau das Richtige für die Jubiläums-Ausstellung. Die Firma bekam den Webstuhl, der aber nicht funktionstüchtig war. Das österreichische Bundesdenkmalamt, mit dem ich zusammen arbeite, wandte sich an mich und fragte, ob ich ihn mir mal angucken könne.

Von der Technik hatte ich null Ahnung, zumal die Weberei wünschte, dass der Webstuhl wieder funktionieren sollte. Das Objekt sollte nicht nur ausgestellt werden sondern man wollte damit im Museum den Webvorgang auf einem alten Webstuhl demonstrieren. Der Produktionsleiter ist dann einige Male bei uns gewesen und wir haben besprochen, worauf es technisch ankommt. Wir haben dann das, was original am Objekt noch vorhanden war konserviert und auch Teile rekonstruiert, damit am Webstuhl – den ich auf die Zeit um 1700 datieren konnte – wieder gewebt werden kann. Heute funktioniert er wieder, es wurden etliche Meter darauf gewebt.

Mein Vortrag soll beleuchten, wie so manches Stück beim Restaurator landet. Aber das Wichtigste, was die Tagung ausmacht, ist, dass wir uns endlich mal nicht mit der Crème de la Crème beschäftigen sondern mit dem was das alltägliche Geschäft ausmacht – den stinknormalen Hausgebrauch. Die banalen Dinge sollen kein Schattendasein mehr führen sondern in größerem Rahmen und im Austausch behandelt werden.

 

Tipp: Vom 9. bis 11. Mai 2019 organisiert die VDR-Fachgruppe Möbel und Holzobjekte die Fachtagung „Ein Stück Alltag – Möbel und andere Dinge der Alltagskultur aus Holz in der Konservierung und Restaurierung“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.

Anmeldung bis zum 28.04.2019. Bis zum 19.04.2019 gilt der Frühbuchertarif.
Ein Tagungsspecial bietet Vergünstigungen für neue VDR-Mitglieder.

 

 

 

Schlafzimmer (LWL-Freilichtmuseum Detmold, Foto: Bangen)

1 Comments

  1. Veröffentlich von Klaus-Peter URBAN am 17. April 2019 um 12:22

    Freue mich als ehemaliger Mitbegründer der FG Möbel wieder mal nach Nürnberg zu fahren und mit Euch, meine lieben Kollegen wieder einmal zusammen zu sein.
    Bedanke mich hier bereits einmal bei Allen, die an diesem Fachgruppentreffen vorab mitwirken sehr.

    Freue mich auch sehr darüber, dass Artefakte der Alltagskultur in Nürnberg entsprechende Würdigung erfahren. Gewiss eine wichtige Sache!

    Sammle neben meiner Tätigkeit als Lehrkraft im FB Konservierung u. Restaurierung an der Hochschule der Künste Bern historisches Werkzeug, Möbel, Uhren, Maschinen und Motorfahrzeuge. Berge, reinige, konserviere und restauriere die Objekte und mache sie häufig auch nochmal gebrauchsfertig. Hist. Werkzeug verwende ich im Restaurier-Atelier und natürlich auch im Unterricht. An der Hochschule der Künste in Bern dient mein altes Werkzeug als Lehr- und Lernmittel. Stemmeisen, Hobel aller Couleur, Reißzeug und Sägen etwa kann man nur richtig einschätzen bezüglich dessen, was damit möglich war und ist und welche Effektivität ihnen inne ist, indem man sie benutzt und gründlich lernt, sie richtig und zweckmäßig zu verwenden.
    Darin liegt kein Widerspruch. Echtes Praxiswissen erschließt sich nur durch reale Verwendung hist. Werkzeugs im richtigen Kontext. Werkzeug muss also verwendbar sein. Freilich sollten die Dinge dennoch alt bleiben und nur solche gebrauchsfertig aufbereitet werden, denen das noch zumutbar ist. Ungeachtet dessen sollten solche Objekte immer gleichwohl sorgfältig konserviert und aufbewahrt werden.

    Historische Uhren, aber auch kinetische Objekte, Werke der Kunst und Werke der Technik, wie etwa mechanische Elemente, Maschinen, Turbinen, Motore, Fuhrwerke, Fahrzeuge, Motorräder und Automobile sind am geschlossensten erfahrbar, wenn sie ihrer ursprünglichen Intention entsprechend bewegt werden können. Das wird häufig verkannt.

    Generell wird es also nötig sein, zumindest eine gewisse Menge hist. Objekte in verwendbarem, oder doch zumindest verwendungs-ähnlicher bewegbarem Zustand zu erhalten. Auch Möbel. Warum? Selbst bei lediglich musealer Präsentation ist ein Mindestmaß ursprünglich intendierter Nutzbarkeit sinnvoll. Darf man bspw. die Schubläden eines Möbels nicht mehr bewegen / entnehmen, weil Gefahr besteht, dass Furniere ausbrechen können, dann kann ein Möbel nicht mal mehr bei einem Transport zweckmäßig und zum Schutz seiner selbst „erleichtert“ werden. Eine „Erleichterung“ ist aber häufig sinnvoll, um das Objekt überhaupt sicher handhaben und fortbewegen zu können. Ich halte es vor diesem Hintergrund nahezu generell für sinnvoll, die ursprüngliche Funktion von Objekten in schonender Weise weiter zu ermöglichen. Zugleich müssen natürlich gefährdete Materialien, wie z.B. Furniere im Zuge von Konservierung und Restaurierung an Ort und Stelle hinreichend sicher mit dem Untergrund verbunden werden.

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