Untersuchungen an einer Weltkriegsrakete im Deutschen Museum Das letzte Geheimnis der „V2“

Masterstudierende Anna Dohnal im Treppenhaus hinter der Weltkriegsrakete V2. Foto: VDR

Mehrere Wochen lang befand sich der Arbeitsplatz der Masterstudierenden Anna Dohnal aus dem Studiengang Objektrestaurierung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste (ABK) Stuttgart in München. In teils schwindelerregender Höhe untersuchte sie in der Luftfahrtausstellung des Deutschen Museums die „V2“, eine 14 Meter hohe Rakete aus dem zweiten Weltkrieg.

Ein Wassereinbruch oberhalb der Rakete hatte die Untersuchungen nötig gemacht. Der Erhaltungszustand war zu erfassen und Schäden waren zu kartieren – mit dem Ziel drauf aufbauend ein Konservierungs- und Restaurierungskonzepts erstellen zu können. Aber nicht nur das: Gemeinsam mit einem Forscherteam wollte man der Rakete ein letztes Geheimnis entlocken.

Im Podcast sprechen wir mit Anna Dohnal über ihr Studienprojekt, die Untersuchungen und auch die dunkle Vergangenheit dieses Exponats.

Nachfolgend finden Sie ergänzend zur Podcast-Episode einen Blogbeitrag mit Fotogalerie:

Die „V2“ im Treppenhaus in der Luft- und Raumfahrthalle. Die Rakete ist 14 Meter hoch. Foto: Deutsches Museum

Terrorwaffe der Nazis

Das „Aggregat 4“, wie es zunächst genannt wurde, war die erste voll funktionsfähige Großraumrakete, die unter Leitung des Ingenieurs Wernher von Braun entwickelt und gebaut wurde. Bekannt wurde die Rakete unter dem Propagandanamen „V2“, den Joseph Goebbels ihr 1944 gab. Damit reihte sich die Rakete ein in die Gruppe der sog. Vergeltungswaffen des Nationalsozialismus.

Tausende dieser Raketen gingen im Zweiten Weltkrieg auf London und Antwerpen nieder. Rund 20.000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter starben allein im KZ-Komplex Mittelbau-Dora, wo die Rakete unter unmenschlichen Bedingungen produziert wurde, weitere rund 8.000 Menschen verloren ihr Leben durch die Einsätze der „V2“. 

Der Weg ins Museum

Die Rakete hatte, bevor sie ins Museum kam, schon eine weite Reise hinter sich: Die USA hatten bei Kriegsende aus den verbliebenen V2-Raketen Teile für etwa 100 Stück über den Atlantik nach Amerika bringen lassen. Um die Technik für die Luft- und Raumfahrt nutzen zu können, brachte man auch entsprechende Experten aus Deutschland in die USA – ihre Nazivergangenheit spielte kaum eine Rolle.

(Wernher von Braun und sein und sein Team wurden offiziell im Oktober 1959 der NASA überstellt. Für seine Nazivergangenheit wurde er nie zur Rechenschafft gezogen.)

1955 sorgte Wernher von Braun selbst dafür, dass die „V2“ zurück nach Deutschland kam, um sie in einem in Stuttgart geplanten „Deutschen Raketen- und Raumfahrtmuseum“ auszustellen, wie Anna Dohnal Unterlagen im Stadtarchiv Stuttgart entnehmen konnte. Die Pläne für den Stuttgarter Museumsbau scheiterten. 1960 wurde die Rakete verkauft und kam schließlich ins Deutsche Museum, wo sie 1963 zum ersten Mal gezeigt wurde – allerdings an anderer Stelle als heute.

Erst seit Eröffnung der Luftfahrthalle des Museums 1984 kam die „V2“ an ihren jetzigen Platz. Dass die Terrorwaffe von einer Wendeltreppe umgeben ist und nicht die ganze Luft- und Raumfahrthalle des Deutschen Museums optisch dominiert, ist kein Zufall: Die Museumsmacher wollten der schrecklichen Waffe keinen allzu großen Auftritt geben. 

Schäden nach Wassereinbruch

Der Aufstellungsort und die Größe des Objektes sorgten allerdings dafür, dass die Rakete 2015 im Zuge der Sanierungen des Ausstellungsabschnitts sieben Jahre lang verpackt an Ort und Stelle stehen bleiben musste. 2022 stellten Museumsmitarbeiter:innen schwere Schäden an der Lackierung fest. Aufgrund eines Wassereinbruchs am Dach hatten sich Lackschichten vom Untergrund gelöst, Korrosion hatte sich gebildet. „Diese Korrosion müssen wir stoppen“, sagt Andreas Hempfer, Kurator für Historische Luftfahrt und Raumfahrt und merkt zugleich an, dass sich die Rakete bereits 1962 in schlechtem Zustand befand.

Nun ist es an den Restaurator:innen ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept zu erarbeiten. Die Grundlage hierfür soll die Dokumentation des Erhaltungszustands bilden. Diese führte die Studierende Anna Dohnal aus dem Studiengang Objektrestaurierung an der ABK Stuttgart, unter Betreuung ihrer Studiengangsleiterin Prof. Dr. Andrea Funck und Kolleg:innen des Museums von Oktober 2023 bis April 2024 durch. Anhand ihrer Schadenskartierung sind die zahlreichen Korrosionsspuren nachvollziehbar. „Die Konstruktion der Rakete war nicht auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Das merkt man dem Objekt jetzt an“, meint Anna Dohnal.

Besonderes Forscherinteresse an den Lackschichten

Eine weitere große Aufgabe war die Suche nach verborgenen Farbschichten und Aufschriften, die besonders für die Rekonstruktion der Vergangenheit der Rakete, und somit für Andreas Hempfer, Kurator für Historische Luftfahrt und Raumfahrt, von großem Interesse ist.

Wann die „V2“ ihren überwiegend weißen Anstrich bekam, ist bislang ungeklärt. Ob die grüne Farbe, die sich noch an kleinen Stellen erahnen lässt, aus dieser Zeit oder von einer späteren Überarbeitung stammt, war die Kernfrage der Untersuchungen. Mit Proben der Lackschichten, wollte man dieser Frage im Zuge eines Folgeprojekts unter Leitung von Dr. Marisa Pamplona Bartsch in der Abteilung Konservierungswissenschaft des Deutschen Museums auf den Grund gehen.

Außerdem wurden Flächen ausgewählt, an denen die Raketenoberfläche zerstörungsfrei geprüft werden sollten. Diese Untersuchungen wurden von der Technischen Universität München (TUM) mit ihrem Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Große und Dr. Matthias Goldammer, Siemens AG Technology, München, unterstützt. Hierfür wurde die Rakete gemeinsam mit drei Forscherinnen des Lehrstuhls mit der Methode der Thermografie analysiert. Mit diesem Verfahren wurde an einzelnen Stellen unter dem jetzigen weißen Anstrich mithilfe elektromagnetischer Strahlung im Infrarotbereich nach Spuren der früheren Lackierung gesucht. Die ersten Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf einen Tarnanstrich aus der Erbauungszeit, weshalb diese weiterhin fortgesetzt werden.

„Sicher ist, dass die Rakete konserviert und restauriert werden muss, um als Zeugnis – auch der dunklen Vergangenheit dieses Exponates – erhalten zu bleiben“, resümiert Prof. Dr. Andrea Funck.

Im Podcast zu hören sind (v.l.) Anna Dohnal, ABK Stuttgart, und Patricia Brozio, VDR.

Weiterführende Links:

Studiengang Objektrestaurierung (abk-stuttgart.de)

Ausstellung Historische Luftfahrt – Deutsches Museum (deutsches-museum.de)

Hinterlassen Sie einen Kommentar