Die Restaurator:innen Jonathan Debik und Sarah Giering haben sich intensiv mit Künstler:inneninterviews in der Restaurierung befasst. Sie legen nun eine Handreichung vor, die nicht nur sehr hilfreich, sondern auch spannend zu lesen ist, weil sie Hintergründe und Entwicklungen beleuchtet und praxisnahe Tipps gibt.
Belastbare Methoden
„Ein Teilziel des Projektes war es von vorneherein, bestehende Interviewmodelle zu evaluieren und eine wissenschaftlich belastbare Methodik zu finden, um eigene Künstler:inneninterviews durchzuführen“, sagen Debik und Giering. „Besonders zu Beginn haben sich uns dabei einige Fragen eröffnet und wir sind während unserer Recherchen zu dem Thema auf Lücken gestoßen, die seitens der Literatur in der Konservierung/Restaurierung noch nicht beantwortet waren. Diese Lücken haben wir für uns durch Ansätze und Vorgehen anderer Disziplinen geschlossen. Vor allem die Sozialwissenschaften haben sich dabei angeboten, da hier viele Methoden entwickelt und diskutiert wurden und dieser Diskurs auch aktuell noch anhält. Aber auch die ganz praktischen Aspekte bei der Vorbereitung und Durchführung eines Interviews finden bisher kaum Erwähnung. Wir hoffen hier durch die Weitergabe unserer Erfahrungen einen strukturierten Einstieg in ein Interview-Vorhaben zu ermöglichen.“
Befragung ist selbstverständlicher Bestandteil
Die Prämisse ist für die beiden Autoren klar: Das Konzept einer Restaurierung von moderner und zeitgenössischer Kunst rein auf Basis der materialwissenschaftlichen Untersuchungen ist heutzutage kaum noch haltbar. Zeitgenössische Kunstwerke bestehen oft aus unbeständigen Materialien und auch ihre immateriellen Eigenschaften bestimmen die Werkidentität maßgeblich. Daraus ergeben sich je nach Kunstwerk sehr unterschiedliche Ansprüche an das Vorgehen. Auch die Befragung von Kunstschaffenden zur Entstehung und Entwicklung ihrer Werke gehört dazu und wird mittlerweile als selbstverständlicher Bestandteil anerkannt und eingesetzt.
Handreichung erleichtert den Einstieg
„Die Handreichung soll eine Einarbeitung in die Verwendung des Interviews als Forschungsmethode erleichtern und für eine wissenschaftliche Durchführung sowie Auswertung von Befragungen sensibilisieren. Sie richtet sich dabei an Forschende ohne Vorerfahrung oder Kenntnis in Geschichts- oder Sozialwissenschaften und ermöglicht eine theoretische Einordnung von Interviewtechniken, die im Fachgebiet der Konservierung und Restaurierung aktuell verwendet werden. Zusätzlich werden sowohl die praktische Durchführung als auch die Vor- und Nachbereitung von Interviews genauer behandelt.“
Anfänge der systematischen Befragung
Die Autoren behandeln zunächst die Entwicklung der systematischen Befragung von Kunstschaffenden im kunsttechnologischen und restauratorischen Kontext, deren Anfänge Ende des 19. Jahrhunderts liegen. In den 1970er und 80er Jahren wurden verstärkt und teils systematisch Fragebögen gesammelt. Zu Beginn der 1980er Jahre entstanden die ersten Datenbanken mit Informationen zu Material und Technik von zeitgenössischen Kunstwerken. In dieser Zeit beginnen im deutschspracheigen Raum auch erstmals Befragungen im Rahmen studentischer Arbeiten. Später kamen auch Videoaufnahmen hinzu, um die Interviews möglichst unverfälscht festzuhalten. Das heutige Standardwerk dazu ist die 2012 erschienene Publikation „The Artist Interview“.
Welche Arten von Interviews gibt es?
Im Folgenden beginnen Jonathan Debik und Sarah Giering das Künstler:inneninterview als Forschungsmethode einzuordnen. Wie wird ein methodisches Vorgehen gewährleitet, was genau ist die Zielsetzung eines Interviews, wann werden qualitative und wann quantitative Methoden eingesetzt und an welchen bestehenden Wissenschaftsdisziplinen orientiert man sich? Es gibt narrative Interviews, bei denen das Gespräch bewusst nicht geleitet wird. Leitfadeninterviews hingegen werden – mehr oder weniger stark – strukturiert und mittels eines Fragenkataloges geführt. Die Übergänge zwischen beiden Interviewtechniken sind fließend.
Ein Interview ist niemals neutral
Nun geht es an die praxisorientierte Anleitung und Methode, die mit der Entscheidung beginnt, wer das Interview führen wird. Wenn die Möglichkeit besteht, sei eine Kombination aus Restaurator:in und Kurator:in von Vorteil, um beide Expertisen zu nutzen, sagen die Autoren. Bei der Durchführung des Interviews sei ein hohes Maß an Offenheit und Sensibilität bei der Auswahl der Fragen und der Steuerung des Gesprächs notwendig. Dass ein Interview neutral oder unbeeinflusst geführt werden kann, sei jedoch nicht möglich. Die Kompetenz des Interviewenden liege darin, wie reflektiert er oder sie mit dieser Subjektivität umgehen kann. Die Autoren geben auch Hinweise darauf, welche Arten von Fragen bevorzugt und welche gemieden werden sollten. Praxisnah sind ebenfalls die Erwägungen, ob und wie das Gespräch aufgezeichnet und nachbearbeitet wird, inklusive Transkriptionsregeln und Dateiformaten.
Gütekriterien für Interviews
Daraus ergibt sich die Frage nach den Gütekriterien gelungener Künstlerinterviews. Da es eine Objektivität nicht geben kann, wie die Autoren ausführlich dargelegt haben, müssen andere Kriterien herangezogen werden. „Auch die reflektierte Subjektivität kann die Objektivität ersetzen. Der Begriff meint eine methodische Kontrolle der eigenen Forschungsprozesse und schließt eine ausführliche Dokumentation des eigenen Vorgehens ein. Sie basiert auf der Annahme, dass Subjektivität zwar von mehreren Faktoren abhängt, aber nicht beliebig und willkürlich ist und bestimmten Regeln folgt, die auch im Nachhinein rekonstruiert werden können.“ Wie die Gütekriterien in der Praxis umgesetzt werden, erläutern die Autoren anschaulich und geben Hinweise zu Quellenangabe und Zitierweise von Interviews, ebenso wie rechtliche Aspekte und solche des Datenschutzes.
„Ziel ist ein lockeres Gespräch“
„Die Regeln und Fragetechniken sind sehr praktisch, müssen aber in keiner Weise dogmatisch beachtet werden“, betonen Jonathan Debik und Sarah Giering. „Ziel eines Interviews ist immer ein lockeres Gespräch, in dem sich alle Beteiligten wohlfühlen. Auch wenn es ein sehr komplexes Thema ist, kann ein Interview natürlich auch ohne viel Vorbereitung spontan geführt werden. Unsere Erfahrung ist aber, dass sich eine gute Vorbereitung lohnt, um die gewünschten Themen klar herauszustellen und anzusprechen, sich dabei aber selbst zurückzunehmen, um die Aussagen nicht zu stark zu beeinflussen. Hierfür sensibilisiert die Handreichung und bietet Lösungsvorschläge.“
Herausgegeben wurde die 66-seitige Publikation vom Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Die Handreichung ist erschienen bei artemak.art, dem Archiv für Techniken und Arbeitsmaterialien zeitgenössischer Künstler:innen und kann kostenlos heruntergeladen werden. Die heutige Website artemak.art hat ihren Ursprung in einem digitalen Archiv, das Prof. Erich Gantzert-Castrillo 2011 in Kooperation mit der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe entwickelt hatte.