Das Museum für Konkrete Kunst (MKK) in Ingolstadt erhält neue Räume. Die Sammlung zieht um. Doch bevor es soweit ist, hat das Museumsteam einiges zu tun. Parallel zu den Bauarbeiten laufen die Vorbereitungen für die zukünftige Dauerausstellung. In dieser sollen Schwergewichte der Sammlungen des MKK und der Stiftung für Konkrete Kunst und Design (SKKD) gezeigt werden. Doch bevor dies möglich ist, müssen zahlreiche Objekte konservatorisch und restauratorisch bearbeitet werden.
Für diese Aufgabe haben die Restaurator:innen viel Platz in den bisherigen Museumsräumen erhalten. Das gesamte Gebäude gehört aktuell der Restaurierung. Im Erdgeschoss hat das Atelier seinen Platz gefunden. Dort werden etwa gefährdete Malschichten stabilisiert oder auch kinetische Kunstwerke zum Laufen gebracht. Im ersten Geschoss ist ausreichend Platz für Probeaufbauten und Probehängungen. Im zweiten Stock gibt es eine Restaurierungsausstellung zu entdecken.
Schaurestaurierung wird durch Ausstellung ergänzt
Bereits seit Januar öffnet das Museum jeden Mittwoch das „Offene Labor“ – ein Restaurierungsatelier, das vorübergehend im Erdgeschoss der bisherigen Museumsräume eingezogen ist. Hier können Interessierte den Restauratorinnen und Restauratoren über die Schulter schauen und erfahren, welche Schritte nötig sind, um Kunstwerke für die Zukunft zu bewahren – vom ersten Sichten über die Restaurierung bis hin zur Probehängung. (Wir berichteten.)

Seit April wird dieses Angebot mit einer begleitenden Ausstellung im zweiten Obergeschoss erweitert. „In Preparation. Eine Sammlung macht sich bereit für neue Räume“ lautet der Titel der Schau, die zentralen Fragen der Konservierung und Restaurierung moderner Kunst nachgeht und vermittelt wie die museumseigene Sammlung für kommende Generationen erhalten werden kann.

Persönliche Geschichten: Sammelleidenschaft verbindet
Bevor die Ausstellung sich auf die Kernfragen des Erhaltens und Bewahrens konzentriert, holt sie die Gäste mit persönlichen Ingolstädter Geschichten ab. In kurzen Videos berichten bekannte Persönlichkeiten, aber auch zufällig ausgewählte Stadtbewohner:innen, welche Dinge für sie bedeutsam sind und warum – ein Mann präsentiert über eine für ihn bedeutsame Katzenfigur, ein kleiner Junge zeigt sein Buch, das er mit Tesafilm reparieren möchten, zwei Fahrradliebhaber erzählen von Rädern, die sie real und emotional bewegt haben. Schnell wird klar: Sammeln ist ein menschliches Grundbedürfnis. Mit diesem Einstieg schlägt die Schau eine Brücke zwischen den Stadtbewohner:innen und den Museumsmitarbeiter:innen. Dabei wird deutlich spürbar, dass Privatpersonen und Museumsleute sich den ihnen anvertrauten Dingen gleichermaßen eng verbunden fühlen und diese erhalten wollen.

Ausstellungsknigge: Kunstwerke nicht berühren
Das eigentliche Restaurierungsthema der Ausstellung wird daraufhin mit einem Ausstellungsknigge eingeführt. Dieser vermittelt, welche Informationen die Gäste auf unterschiedlichen Vertiefungsebenen abrufen können. Zugleich sensibilisiert der Knigge dafür, was in der Ausstellung angefasst werden darf und was nicht. Nicht berührt werden dürfen die Kunstwerke, selbstredend.
Aktiv bedient werden dürfen hingegen die Drehschilder mit vertiefenden Informationen, die Mikroskope zu Erkundung besonderer Details, die Kugelbahn, mit der eigene Fragen direkt zu den Restaurator:innen ins Erdgeschoss gesandt werden können oder auch die Lupen, mit der eine große Schauwand Ebene für Ebene ergründet werden kann. Zudem gibt es gleich zu Beginn fünf Probetafeln, die veranschaulichen, was passiert, wenn jeder einmal kurz anfasst.


Testfelder: Berühren ausdrücklich gewünscht
Bei den Probetafeln ist das Berühren ausdrücklich erwünscht. „Die Besucherinnen wissen nicht um die Schäden, die sie verursachen“, meint die Restauratorin des MKK, Julia Steves. Gängige Aussagen seien: „Wir haben saubere Finger. Da passiert nichts. Das kann doch nicht so schlimm sein.“ Das dem nicht so ist, haben die Gäste bereits bei der Ausstellungseröffnung widerlegt. Nach nur einem Tag sind bereits Kratzer und Fingerabdrücke auf den Testflächen deutlich sichtbar und die Unterschiede zu den unberührten Referenzflächen darüber deutlich ablesbar. Das Plexiglas ist bereits verkratzt, die Aluminiumplatte ist übersäht von Fingerabdrücken, die dunkle monochrome Farbschicht zeigt helle Spuren, die weiße Leinwand ist partiell dunkel verfärbt.
Kunst hat ein Verfallsdatum
Kunst erfährt also Veränderungen. Viele davon sind menschengemacht.
Daneben lernen die Museumsgäste, dass modernen Objekte, wie die aus den Sammlungen von MKK und SKKD, meist ein Ablaufdatum haben, denn die verwendeten Materialien halten nicht ewig.
Als krasses Beispiel für materialbedingten Zerfall haben die Ausstellungsmacherinnen einen stark degradierten Tube Chair von Joey Colombo aus dem Depot geholt – und genauso aufgestellt, wie sie ihn dort vorgefunden haben. Das Designerstück dürfte für die Restaurator:innen wohl zu den herausforderndsten Objekten zählen. Kategorie „kaum oder gar nicht mehr restaurierbar“.


Eine Art „Terrorstück“ selbst für geübte und ausgesprochen geduldige Restaurierungsfachleute. Der PU-Schaum, aus dem die Sitz- und Standflächen des Stuhls bestehen, ist derart stark degradiert, dass er bei jeder Berührung weiter zerbröselt. Noch dazu kleben die würfelförmigen Brösel an der darüberliegenden transparenten Verpackungsfolie. Hier bekommt der Museumsbesucher also etwas zu sehen, was sonst in wohl keinem Museum ausgestellt ist.
„Bereits das Entpacken dieses Stuhls ist de facto eine Restaurierung“, erläutert Julia Steves und verweist darauf, dass sich derzeit ein Studierender des Goering Instituts in einer Facharbeit damit auseinandersetzt, wie die Folie ohne weiteren Schaden von der Stuhloberfläche abgelöst werden kann. Ist hierfür erst einmal eine Lösung gefunden, sei anschließend die Frage zu klären, ob und wie der Stuhl ausgestellt werden kann. „Abgestellt werden kann der Stuhl nicht mehr. Eine hängende Präsentation in der Sammlung wäre aber durchaus denkbar – möglicherweise auch neben einer Neu-Edition des Stuhls, der bis heute bei Capellini produziert wird“, überlegt die Restauratorin und ist selbst gespannt, wie die Geschichte ausgehen wird.
Kann, soll und muss Kunst, die sich allmählich zersetzt, zwingend restauriert werden?
Die Antwort auf diese Frage ist, wie man im weiteren Rundgang erfährt, stets eine individuelle. Deutlich wird dies mitunter anhand eines Exemplars der Serie „Kleiner Sonnenuntergang mit Salami“ des Künstlers Dieter Roth. Der Effekt des Sonnenuntergangs entsteht bei diesen Werken erst durch die Alterung der Salami; indem der Fettanteil allmählich in die Umgebung diffundiert. Was auf den ersten Blick ein vermeintlicher Schaden ist, ist in Wirklichkeit keiner – somit kann das Werk abgesehen von einer Neurahmung in der künftigen Präsentation genauso gezeigt werden, wie es ist.
Anhand weiterer sorgsam ausgewählter Fundstücke aus dem Depot lernen die Gäste noch einiges mehr über die Entscheidungsprozesse, die jeder Konservierung und Restaurierung und auch Objektpräsentation zugrunde liegen. Sie erfahren, welchen Einfluss die Ergebnisse von technologischen Untersuchungen und Künstlerinterviews auf ein Behandlungskonzept haben können und sie erfahren, wie Kunst fachlich korrekt verpackt und gelagert wird.


Die Objekte kommen direkt aus dem Depot. Nichts ist daran gemacht.
Mutig ist die Präsentation im hintersten Ausstellungssaal. Dieser überrascht mit einer Petersburger Hängung. Dicht an dicht reiht sich eine Galerie der Schäden. Was Besucher:innen sonst nicht zu Gesicht bekommen, entfaltet sich erst Stück für Stück in seinem ganzen Ausmaß. Denkt man beim Betreten noch, alles sei in Ordnung, so offenbart sich auf den zweiten Blick eine Vielzahl an Schäden, die Kunst über die Jahre oder auch in einem kurzen Moment der Unachtsamkeit ereilen kann. Ein Sturzschaden präsentiert sich neben von Insekten zerfressenen Möhren- und Kohlrabischalen. Wasserflecken hängen neben mit Tesafilm geflickten gebrochenen Glasflächen. Deformationen gesellen sich zu Korrosionen. Im Unterschied zu anderen Restaurierungsausstellungen werden hier keine Werke nach getaner restauratorischer Arbeit gezeigt. Die Objekte kommen direkt aus dem Depot. Nichts ist daran gemacht. Teils kamen die Werke schon beschädigt in die Sammlung, teils sind sie über die Zeit entstanden.


Modellhaft wird an den zwölf Objekten sichtbar, welche besonderen Herausforderungen ein kleines Museumsteam zu meistern hat, wenn es die rund 15.000 Werke umfassende Sammlung von MKKD und SKKD erhalten und ausstellungsfähig machen will.
Auch wenn die Präsentation mitunter kritische Fragen bei den Besuchenden und Künstler:innen aufwirft, stellt sich das Team diesen gerne. „Wie sonst sollen die Menschen verstehen, dass Geld für die Konservierung und Restaurierung Geld benötigt wird?“ Kunst zerfällt ohne Pflege, aber mit den nötigen Mitteln kann sie erhalten werden.
Nach der Besichtigung werden gerne auch Tipps zum Umgang mit persönlichen Lieblingsstücken gegeben. „Hier erhalten Sie sogar praktisches Wissen für Ihren nächsten Umzug, etwa wie Sie Ihre eigenen Bilder oder Fotos sachgerecht verpacken“, sagt augenzwinkernd Museumsleiterin Theres Rohde.
Die Ausstellung ist immer sonntags und mittwochs von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
Die Begleittexte sind in Deutsch und Englisch verfügbar.
Die Restaurator:innen sind immer mittwochs vor Ort.
Der Eintritt ist frei.
Ergänzende Informationen zum neuen Museumsstandort:
Nach über zehn Jahren nähern sich in Ingolstadt die Bauarbeiten am zukünftigen Standort des Museums für Konkrete Kunst und Design (MKKD) ihrem Abschluss. Seinen neuen Platz wird das Ausstellungshaus in der ehemaligen Gießereihalle finden, einem geschichtsträchtigen Ort, von dem aus die Ingolstädter einst einen Fangschuss auf den Schimmel des schwedischen Königs Gustav Adolf abgegeben hatten und so der schwedischen Belagerung im 30-jährigen Krieg trotzten. Damit zieht zeitgenössische Kunst dort ein, wo jahrzehntelang Kanonen und später Gußöfen fabriziert wurden – und so verbindet sich ein Stück Industriegeschichte mit einem neuen Abschnitt Zeitgeschichte.
Der Neubau wurde nötig, da die bisherigen Museumsräumlichkeiten in der ehemaligen Donaukaserne nicht mehr die Standards für ein modernes Museum erfüllten. Seit Gründung hat sich die Sammlung verzehnfacht. Es fehlte vor allem Platz. Die Räume konnten nur mit Wechselausstellungen bespielt werden. Raum für eine Dauerausstellung, für einen Shop oder ein Café waren nicht vorhanden. Auch andere Voraussetzungen waren nicht gegeben. Für große Exponate waren die Räume zu niedrig, ein Lastenaufzug fehlte und ein konstantes Klima war nicht einzustellen. Kurzum, die Sammlung passte nicht mehr zu den Räumen und der internationale Ruf passte nicht mehr zu seinem architektonischen Auftritt.
Der Neubau soll diese Anforderungen mit hoher Aufenthaltsqualität erfüllen. Die Fläche wird fünf Mal so groß sein wie bisher. 2000 m2 entfallen auf die Ausstellung, die im neu geschaffenen unterirdischen Bereich der einstigen Gießereihalle einziehen wird. Schwergewichte der Sammlung können somit künftig dauerhaft gezeigt werden. In der darüberliegenden großzügigen Halle werden sich künftig frei zugänglich Gastronomie und Shop erstrecken. Auch erhalten hier die Büros Einzug und die Museumspädagogik, die im MKK immer schon einen großen Stellenwert hatte.