1919 gründete Walter Gropius in Weimar das „Staatliche Bauhaus“. Nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs wollte er mit einer neuen Gestaltung alltäglicher Dinge einen neuen modernen Menschen prägen und die Trennung von Theorie und Praxis, Kunst und Handwerk aufheben. 1925 zog die Hochschule unter politischem Druck nach Dessau um, 1932 nach Berlin. Dort wurde sie kaum ein Jahr später von den Nazis geschlossen. Insgesamt bestand das Bauhaus nur 14 Jahre.
Jetzt, im Jahr 2019 und 100 Jahre nach seiner Gründung, gedenkt man des Bauhaus-Jubiläums unter dem Motto „Die Welt neu denken“ mit Veranstaltungen, Publikationen und Ausstellungen. Anfang April wird nach dreijähriger Bauzeit das Bauhaus-Museum in Weimar eröffnet.
Auch hier im Restauratorenblog wollen wir uns in lockerer Folge mit dem Bauhaus beschäftigen. Vor allem, aber nicht nur, aus restauratorischer Sicht. Gleich in der ersten Folge dieser Serie geht es um ein Missverständnis, oder besser gesagt, um eine stereotype Vorstellung in Bezug auf die Farbigkeit.
Liest man aktuell auf den Internetseiten des Bauhauses Dessau die Beschreibung der Meisterhäuser, so ist dort von den „weißen, kubischen Baukörpern“ die Rede und tatsächlich verbinden die meisten Menschen das Bauhaus, zumindest was die äußere Farbgebung betrifft, mit einem hellen, strahlenden Weiß. Ivo Hammer ist davon alles andere als begeistert. „Die Vorstellung von der weißen Architektur, den weißen Kuben, ist ein kulturelles Konstrukt, an dessen Herausbildung auch Architekten wie Le Corbusier oder Josef Frank beteiligt waren, das aber im Widerspruch zur tatsächlichen Materialität der Gebäude der Zeit steht“, sagt der Kunsthistoriker und Konservator-Restaurator, der von 1997 bis 2008 als Professor an der HAWK Hildesheim die Studienrichtung Konservierung-Restaurierung von Wandmalerei/Architekturoberfläche aufbaute. „Wir müssen die Farbgeschichte des Neuen Bauens neu schreiben. Die weißen Kuben waren nie weiß.“ Aber bis heute sei die stereotype Vorstellung von der weißen Architektur, den „weißen Kuben“, wirkmächtig und das habe negative Konsequenzen für die Erhaltungspraxis. „Ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Materialzusammensetzung der Oberflächen streicht man bis heute Fassaden des neuen Bauens mit modernen Farben in einem grellen Weiß, unter Verwendung von nicht kompatiblen Materialien wie Kunstharz und Titanweiß.“
Unter Schichtpaketen späterer Anstriche findet sich die ursprüngliche Kalktünche
In seinem Artikel „Weiß, alles weiß?“, der in den Beiträgen zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut (Heft 2.2018) veröffentlicht wurde, beschäftigt sich Ivo Hammer mit diesem Thema am Beispiel von Josef Franks Haus Beer (1930) in Wien. Hier konnte Hammer durch konservierungswissenschaftliche Untersuchungen nachweisen, dass die Architektur in traditioneller Weise mit Kalkmörtel verputzt und mit Kalktünche gestrichen worden war. Diese Praxis galt überwiegend für die Architektur des Neuen Bauens, wie Hammer im Rahmen eines Forschungsprojekts der HAWK Hildesheim belegen konnte. Er untersuchte die Fassadenputze einer Reihe von Objekten des Neuen Bauens, darunter Frühwerke von Ludwig Mies van der Rohe in Berlin und Potsdam, Bauten der Messe Brünn von 1928 oder das Haus Tugendhat in Brünn. Auch am sogenannten Prellerhaus, dem 1926 fertiggestellten Ateliergebäude des Bauhauses in Dessau, fand Hammer unter Schichtpaketen mit späteren Anstrichen die ursprüngliche gelblichweiße Kalktünche.
„Bei der Restaurierung der Fassaden der Meisterhäuser von Dessau vor 20 Jahren haben die Bauherren zunächst, nämlich bei den Meisterhäusern von Feininger, Klee und Kandinsky, auf eine vorherige konservierungswissenschaftliche Untersuchung verzichtet und dabei – wie wir heute nach den Ergebnissen der Polychromie-Untersuchung der Meisterhäuser von Muche/Schlemmer wissen – die Zerstörung der originalen Polychromie in Kauf genommen.“
Als Hand- und Kopfarbeit getrennt wurden
Insgesamt seien die konservierungswissenschaftlichen Befunde der „weißen“ Fassaden zwar hinsichtlich vieler technologischer Parameter unterschiedlich, sagt Ivo Hammer, aber eines hätten sie gemeinsam: „Sie waren nie rein kalkweiß, das Weiß des Kalkes war immer gebrochen“. Es entspreche handwerklicher Tradition, einer Fassadentünche sehr feine, möglichst ungewaschene Sande und ergänzend oft auch Erdfarben beizumischen. Dadurch erscheine die Fassade meist leicht gelblich.
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hätten dann die Baustofffirmen und ihre Labors verstärkt damit begonnen, Fertigprodukte mit in der Retorte konfektionierten „modifizierten“ und „optimierten“ Materialien auf den Markt zu werfen, die schnell und ohne spezielle handwerklichen Fähigkeiten zu verarbeiten sind. Das sei ein Punkt gewesen, so bedauert Ivo Hammer, an dem „Hand- und Kopfarbeit getrennt“ wurden. Ein ernstes Problem seien auch die Sehgewohnheiten geworden. „Gerade bei Fachleuten, denn sie sehen den Unterschied nicht mehr zwischen handwerklichen und fertigen Produkten. Hier geht es auch um Bewusstseinsarbeit und bei der Sehschulung sind auch die Kunsthistoriker gefragt.“
Insbesondere die herrschende Kunstgeschichte bezichtigt Hammer, nicht an Materialgeschichte interessiert zu sein und somit die Fehlinformation der „weißen“ Fassaden weitergegeben zu haben. Dem „Schauwert“, also wie es aussehe, werde viel zu viel Bedeutung beigemessen. „Die Frage der Authentizität wird nicht konsequent gestellt. Da stehen wir Konservatoren-Restauratoren oft auf verlorenem Posten.“
Schwarz-weiße Abbildungen produzierten eine neue Realität
Weitere Gründe für die stereotype Vorstellung des Fassaden-Weiß sieht Ivo Hammer außerdem in der Schwarz-Weiß-Fotografie, die mit ihren schwarz-weißen Abbildungen in der Architekturanschauung eine neue Realität produziert und weitergegeben habe. Hinzu kämen achtlose Renovierungen bis hin zu einem (Ivo Hammer zitiert Jacques Sbriglio) „ikonoklastischen Vorgehen bei früheren Restaurierungen“.
Gespannt sei er auf die Eröffnung des Bauhaus-Museums in Weimar, sagt Ivo Hammer. Dort werde der Schreibtisch seines Schwiegervaters aus dem Haus Tugendhat gezeigt, aber die Frage sei für ihn wie. „Möglicherweise in titanweißer Umgebung, mit gewalzter Raufaser.“
Tipp: Der Beitrag „Weiß, alles weiß?“ von Ivo Hammer ist in Heft 2/2018 der „Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut“ nachzulesen. Für VDR-Mitglieder kostenlos im Downloadbereich des internen Mitgliederbereiches zu finden oder auch für jedermann im VDR-Shop (gedruckt oder digital) erhältlich.
Text: Gudrun von Schoenebeck
Die Behauptung „Bei der Restaurierung der Fassaden der Meisterhäuser von Dessau vor 20 Jahren haben die Bauherren zunächst, nämlich bei den Meisterhäusern von Feininger, Klee und Kandinsky, auf eine vorherige konservierungswissenschaftliche Untersuchung verzichtet“ kann so nicht gelten. Ich habe selbst die Untersuchungen der Farbfassungen am und im Meisterhaus Klee / Kandinsky in Dessau vor 20 Jahren ausgeführt! Schade das so eine Falschinformation durch einen Kenner der Materie verbreitet wird, ohne die umfassenden Dokumentationen eingesehen zu haben und die Quelle für seine Behauptung zu nennen. Die Dokumentationen befinden sich bei den zuständigen Denkmalbehörden. Denn wenn Herr Hammer diese Dokumentationen gelesen hätte, oder mit einem der Restauratoren gesprochen hätte müsste sein verallgemeinernde Verurteilung widerlegt sein. Viele Grüße Boris Frohberg
Boris Frohberg scheint den Unterschied zwischen einer konservierungswissenschaftlichen Untersuchung und einer „traditionellen“, rein phänomenologischen Farbuntersuchung nicht präsent zu haben und auch die entsprechende aktuelle Diskussion dazu nicht zu kennen (siehe VDR Beiträge 1/2017, S. 88-96). Im Falle der Instandsetzung der Meisterhäuser Feininger, Klee/Kandinsky hat Thomas Danzl, Leiter der Restaurierungsabteilung des Landesamtes für Denkmalpflege S-A, seine methodische Kritik unmissverständlich formuliert (A. Gebeßler (Hrsg.), Gropius. Meisterhaus Muche/ISchlemmer. Die Geschichte einer Instandsetzung, Stuttgart 2003, S. 154-156).
Boris Frohberg hat mit seinem blog den Bemühungen um die Anerkennung der Konservierung-Restaurierung als gleichberechtigte wissenschaftliche Disziplin, die für die Planung und Durchführung der Instandsetzung von Denkmalen unverzichtbar ist, einen Bärendienst erwiesen.
Ich kann nicht nur eine konservierungswissenschaftliche Untersuchung und eine traditionelle, rein phänomenologische Farbuntersuchung, sondern auch das Meisterhaus Muche / Schlemmer und das Meisterhaus Klee / Kandinsky unterscheiden. Die wirklich aktuelle Diskussion sollte die Rekonstruktion anstatt der Originalpräsentation und die derzeitig erfolgte Neuinterpretation der Raumgestaltungen im Meisterhaus Klee / Kandinsky berücksichtigen. Mit besten Grüßen Boris Frohberg