Schloss Wörlitz Die Restaurierung einer Stilikone

Schloss Wörlitz, die „Ikone des Klassizismus auf dem Kontinent“, wurde in den letzten 20 Jahren aufwendig restauriert. Daran waren Architekten und Denkmalpfleger, Handwerksfirmen und Diplomrestauratoren aus den Bereichen Wandmalerei, Stuck-, Möbel-, Polster-, Textil-, Gemälde- sowie Papierrestaurierung beteiligt. Doch warum wurde diese umfangreiche Restaurierung notwendig und was macht das Schloss so einzigartig? Wir haben bei Annette Scholtka, Leiterin der Abteilung Baudenkmalpflege in der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, nachgefragt.

Annette Scholtka (2. v.r.) mit Mitarbeitern der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz sowie dem Restauratoren-Team unter Leitung von Thoralf Herschel. Foto: KSDW

VDR: Wenn über Schloss Wörlitz berichtet wird, dann als „Ikone des Klassizismus auf dem Kontinent“, als „Inkunabel“ und somit als Bau von weitreichender Bedeutung. Selbst Zeitgenossen feierten das Gebäude als „Triumph deutscher Baukunst“. Warum ist das so?

Annette Scholtka: Das Schloss Wörlitz (1769 – 1773) war nicht nur zu seiner Zeit das modernste Schlossbauwerk Kontinentaleuropas, es ist bis heute ein so bedeutendes Gebäude, dass es in jeder auch nur einbändigen Geschichte der deutschen Baukunst abgebildet ist.

Zahlreiche begeisterte Besucher berichten im 18. und 19. Jahrhundert von diesem innovativen Bauwerk. Der preußische Prinz August Ferdinand, der Erbauer des Schlosses Bellevue – heute Amtssitz des Bundespräsidenten –, schickte 1785 seine Bauleute eigens mit dem Auftrag nach Wörlitz, alle baupraktischen Neuerungen „abzukupfern“.

Doch nicht allein die praktischen und technischen Errungenschaften waren es, die Begeisterung hervorriefen. Es war vor allem die neuartige frühklassizistische Architektur. Anstelle der geschwungenen barocken Fassaden mit reicher plastischer Dekoration treten nun klare, begrenzte Flächen und ein kubischer Baukörper. Große Säulenordnungen beherrschen das Gesamtbild. Beim Dekor halten sich Bauherr Fürst Franz und sein Baumeister Erdmannsdorff an allerneuste archäologische Schriften und studieren die Antike selbst vor Ort, getreu dem von Johann Joachim Winckelmann geprägten Slogan, dass man nach dem Barock nur durch die Nachahmung der Antike wieder zu neuer Blüte in der Kunst kommen könne.

Was macht das Gebäude so besonders?

Schloss Wörlitz ist eines der wenigen Gebäude, die mit ihrer gesamten Ausstattung bis in unsere Zeit hinübergerettet werden konnten. Nicht nur, dass die Raumfassungen noch mit ihren Farbigkeiten und der originalen Gemälde- und Kupferstichausstattung auf uns gekommen sind, auch sämtliche Möbel und Kunstgegenstände begegnen uns noch so, wie sie im zeitgenössischen Führer durch das Schloss von 1788 aufgeführt sind! Ein so hoher Anteil an Originalsubstanz ist sensationell.

Restaurierte Hoffmannmöbel im Erbprinzenzimmer. Foto: KSDW

Dem Gebäude wurde durchgehend eine große Wertschätzung zuteil und doch kam es zu massiven Schäden an der Gebäudehülle und Ausstattung. Was waren die schwerwiegendsten? Und wie kam es zu diesen Schädigungen?

Die Balkenköpfe in allen Etagen des Schlosses waren vom Hausschwamm befallen. Ursache waren insbesondere die fehlenden Möglichkeiten der Instandhaltung zu DDR-Zeiten, aber auch der nachträgliche Einbau eines unbelüfteten Glasdachs über dem Innenhof im 19. Jahrhundert.

Schäden an Chinesischen Seidentapeten. Foto: Textilrestauratorin Ines Zimmermann

Welche Instandhaltungsmaßnahmen waren zu Zeiten der DDR machbar, welche nicht?

In der DDR-Zeit herrschte sowohl Mangel an Gerüsten und Baumaterial als auch an Firmen, die traditionelle Handwerkstechniken selbstverständlich beherrschten. Der schadhafte Putz des Schlosses konnte in dieser Zeit nur durch Zementputz ersetzt werden. Einen Kalkputz, noch dazu dreilagig in hauchdünner Stärke von 0,5 bis 1,5 cm hatte keine Firma anbieten können. Machbar waren, insbesondere nach der Etablierung der Restauratoren-Ausbildung an den Hoch- und Fachhochschulen, Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten, vor allem im Inneren von Gebäuden. Aus Mangel an Mitteln jedoch auch diese nur in beschränktem Umfang.

Schäden an Chinesischen Holzschnitten. Foto: Papierrestauratorin Cordula Teuffert

Wie ging es mit dem Bau nach dem Mauerfall weiter und wann kam es zur Entscheidung: Wir restaurieren alles von oben bis unten?

Nach der Wende taten sich unmittelbar Möglichkeiten auf, Mittel der Europäischen Union zu beantragen. Zuallererst mussten die hausschwammgeschädigten Decken saniert werden. Mitte der 90er Jahre wurde dann das Gartenreich Dessau-Wörlitz in die Liste der Leuchttürme in Ostdeutschland aufgenommen und erhielt regelmäßige Zuwendungen des Landes und des Bundes. Erst hierdurch konnte eine Gesamtrestaurierung ins Auge gefasst werden.

Was waren die aufregendsten Momente während der Restaurierung und wie fühlt man sich nach so einem Mammutprojekt?

Besonders aufregend ist es, wenn wir an die Grenzen der uns heute bekannten Techniken zur Restaurierung gelangen. Beispielsweise bei der Restaurierung von chinesischen Papiertapeten oder Kupferstichen aus dem 18. Jahrhundert, bei denen selbst die schonendsten Methoden zu erneuten Schäden zu führen drohen.

Geschädigte chinesische Papiertapete. Foto: Papierrestauratorin Andrea Strietzel

Spannend ist es aber auch, wenn ein riesiges Deckengemälde noch an seinen alten Gewindestangen hängt und nach der Restaurierung im Atelier vom Saal aus – abgestützt auf dem Gerüst – an eben diesen originalen Gewindestangen wieder heraufgezogen wird. Die halbe Belegschaft der Kulturstiftung fand sich ein, um diesem Ereignis beizuwohnen.

Im April wird die Restaurierung von Gebäude und Interieur in einer dreitägigen Tagung* der Öffentlichkeit präsentiert. Was erwartet die Teilnehmer – und was ist Ihr persönliches Highlight?

Das Besondere der Tagung: Einblicke in sämtliche Sparten der Restaurierung eines solchen Denkmals von UNESCO-Weltrang: von der Rückgewinnung von Raumfassungen über neuste Erkenntnisse zur Farbigkeit von Intarsien des berühmten David Roentgen bis hin zur Restaurierung des komplett erhaltenen Gemäldebestandes jedes einzelnen Zimmers! Wie unterschiedlich gehen Architekten, Denkmalpfleger und Restauratoren an die Fragestellungen heran?

Originale Farbigkeit der Roentgenmöbel. Foto: KSDW

Meine ganz speziellen Highlights sind 1. ein textilrestauratorisches Thema, der Umgang mit den Seidenbespannungen im Schloss Wörlitz, zu denen sogar eine Doktorarbeit entstehen wird, und 2. die Möbelrestaurierung und hier im speziellen die Polsterrestaurierung der originalen Möbel des Schlosses. Auf Stühlen verschleißen die Bezugsstoffe ja noch schneller als an den Wänden und somit waren nicht nur die Bezüge sondern auch die Polster häufig Veränderungen ausgesetzt. Wie viele Polstermaterialen sich aber dennoch aus dem 18. Jahrhundert im Inneren des vielschichtigen Gefüges erhalten haben bis hin zu originalen Sprungfedern aus dieser Zeit, das war für mich verblüffend.

Polsterrestaurator Reinhardt Roßberg mit baubegleitendem Restaurator Lars Schellhase und Architekt Gottfried Hein. Foto: KSDW

Fragen: Patricia Brozio und Gudrun von Schoenebeck

* Tagung vom 23. April – 25. April 2020:
Schloss Wörlitz – 20 Jahre Restaurierung des Gründungsbauwerks des deutschen Klassizismus

VERSCHOBEN: Aus Vorsorge gegen die Ausbreitung des Coronavirus und zum Schutz aller Beteiligten haben sich die Veranstalter dafür entschieden, die Tagung zu verschieben. Wir bitten um Verständnis. Über den neuen Termin werden wir sobald wie möglich informieren.

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