Bilder von unterwegs … Bauzaun-Comics in Paris

In einer weiteren Folge unserer Reihe „Bilder von unterwegs berichtet Dr. Christiane Schillig, die Geschäftsführerin des VDR, von ihrer erinnerungswürdigen Begegnung mit Comics auf einem Bauzaun.

Menschenleer ist der Vorplatz von Notre-Dame in Paris Ende Januar 2022. Die Corona-Inzidenz hält Besucher davon ab, in die französische Hauptstadt zu reisen. So komme ich zu Motiven, die in pandemiefreien Zeiten nur sehr schwer zu sehen und erst recht nicht zu fotografieren wären. Vor wolkenlos blauem Himmel erhebt sich – lichtdurchflutet – die Westfassade der Kathedrale in ihrer ganzen Pracht, so als hätte es den verheerenden Brand am 15. April 2019 nicht gegeben. Das erste Geschoss wird von einem sich über den gesamten Vorplatz ziehenden überlebensgroßen Bauzaun-Comic verdeckt. Aufgrund fehlender Zaungäste ist die komplette Comicreihe auf einen Blick zu erfassen und ich kann ganz ungestört am Freilicht-Bilderbuch entlangwandern.

Fünf namhafte Comic-Zeichner haben vom „établissement public“, das den Wiederaufbau der Kathedrale verantwortet, den Auftrag erhalten, sich hinter den Kulissen der Absperrung die Sicherungen und Voruntersuchungen der Restaurator:innen, Architekt:innen und Handwerker:innen anzusehen, mit ihnen Interviews über ihre Arbeit zu führen und daraus Comic-Strips zu entwickeln. Diese zieren nun den Bauzaun vor der Kathedrale Notre-Dame und sind als komplette Ausstellung online, auch in englischer Version verfügbar.

Meiner Meinung nach am eindrucksvollsten sind die Zeichnungen von Sandrine Martin, einer französischen Comic-Autorin und Buchillustratorin. In ihrer Detailgenauigkeit ähneln vor allem die Querschnittzeichnungen von der Baustelle Wimmelbildern. Meine Lieblingsmotive: Die zwei „Arkadenbilder“, in denen es um die Restaurierung von Wandmalereien und um die ursprüngliche Polychromie der Kathedrale geht.

Arkadenbild Chapelle Saint-Ferdinand: Den Restaurator:innen für Wandmalerei kommt es auf gründliche Reinigung nach dem Brand, exakte Voruntersuchungen und auf die Reversibilität ihrer Eingriffe an. (Foto Christiane Schillig)

Übersetzung: Restauratorinnen für Wandmalerei in der Kapelle Saint-Ferdinand

Bei bemalten Dekoren festigen wir zuerst die Farbabplatzungen, die abfallen könnten.
Nach dem Absaugen des Staubes wird der Bleigehalt gemessen: Er liegt weit unter dem Grenzwert.
Wir reinigen mit Gelen, die den Schmutz einfangen. 
Wir beschichten alte Bereiche.
Dann stellen wir die Farben und Muster an den Stellen wieder her, an denen sie verschwunden sind.
Alle unsere Beiträge sollten reversibel und lichtstabil sein.
Es ist das erste Mal, dass alles gleichzeitig restauriert wird: die Malereien, die Verblendungen, die Skulpturen, die Gitter und die Glasfenster.

In jeder einzelnen dieser Bildsequenzen lassen sich immer wieder neue Einzelheiten entdecken. Eine schönere Werbung für den Restaurator:innenberuf kann ich mir kaum vorstellen. Mögen in besseren Zeiten viele Bauverantwortliche diesen Zaun studieren und sich die Comics zum Vorbild für die Gestaltung ihre Baustellensicherungen nehmen! Statt eines ästhetischen Ärgernisses vor der Kathedrale gibt es in Paris Zeichenkunst und viel Informatives. 

Arkadenbild Le Bilan: In dieser Bilderfolge sind die Restaurator:innen glücklich über die Entdeckungen während der Reinigung und der Sicherungen. Das Portal der Kathedrale war zum Beispiel polychrom gestaltet. (Foto Christiane Schillig)

Übersetzung: Le Bilan

Wir entdeckten Lilienmotive auf den Rippen des Gewölbes … wahrscheinlich zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert gemalt. Umwerfend!
Das Portal von Notre Dame war polychrom, ebenso wie ein Teil seines Innenraums. Tatsächlich?!
Und ja! Viollet-le-Duc wusste von diesen alten Malereien und beschloss, die gemalten Dekors wiederherzustellen.
Dekorationen, die heute ihren vollen Glanz wiedererlangt haben. Die Pigmente sind sehr schön und haben sich im Laufe der Jahre nicht verändert.
Diese Baustelle ist wirklich eine Gelegenheit, die Kathedrale neu zu entdecken!

Der schöne Schein der Doppelturmfassade von Notre-Dame in Paris vom Januar 2022 trübt allerdings. Schäden sind aus dieser Perspektive nicht zu sehen. Erst am 18. September 2021, mehr als zwei Jahre nach dem Brand, wurden die Sicherungs- und Gerüstarbeiten beendet. Die eigentliche Restaurierung beginnt gerade. Zunächst galt es das durch die Flammen zusammengeschmolzene Gerüst über dem Vierungsturm abzubauen und Holzverschalungen einzuziehen, um die Gewölbe abzustützen. Der mittelalterliche hölzerne Dachstuhl wurde rekonstruiert. Ursprünglich hatte Präsident Emmanuel Macron die Wiederherstellung der Kathedrale binnen fünf Jahren versprochen. Nun ist eine (Teil-)eröffnung bis zu den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 geplant.

Notre-Dame Westfassade: Comiczeichnungen auf dem Bauzaun legen dar, wo und wie die Arbeit auf der Kathedralen-Baustelle hinter der Absperrung stattfindet. (Foto Christiane Schillig)

PS: Die Dombauhütte in Köln hat ihre Hilfe bei der Restaurierung von Notre Dame angeboten. Vier Fenster sollen dort restauriert werden.

Unsere Serie „Bilder von unterwegs“
Wenn man seinen Beruf leidenschaftlich gerne ausübt, wird man diese Passion auch auf Reisen nicht einfach hinter sich lassen. Das gilt sicher auch für Restauratoren, die mit ihrer Arbeit überall dort anzutreffen sind, wo der Mensch kulturell tätig gewesen ist. Wir könnten uns deshalb vorstellen, dass die Leser:innen dieses Blogs auch im Urlaub die eine oder andere „restauratorische Begegnung“ gehabt haben.

Vielleicht haben Sie eine besonders gut gelungene Restaurierung gesehen, oder Ihnen ist eine Arbeit aufgefallen, die kritikwürdig wäre. Vielleicht haben Sie Kolleg:innen bei der Arbeit getroffen, ein Museumsstück ist Ihnen nicht mehr aus dem Kopf gegangen oder Sie haben den bröckelnden Putz eines alten Palazzos fotografiert, in der Hoffnung, dass vielleicht doch noch Rettung kommt für die gealterte Pracht.

Schicken Sie uns Ihre Fotos von solchen Begegnungen. Dazu ein paar Sätze über das, was zu sehen ist. Wir freuen uns über die Urlaubsentdeckungen von Restauratoren!

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